152 ERSTER TEIL: GEOGRAPHISCHE GÜTERLEHRE
und damit günstigere Bedingungen für die industrielle Entwicklung.
Denn die Höhe der Arbeitslöhne spielt in der Frage der Rentabilität
einer Industrie, ihrer Wettbewerbsfähigkeit mit gleichen Industrie-
zweigen anderer Länder und damit hinsichtlich der Exportfähigkeit eine
große Rolle, Aber nicht nur die Menge der Bevölkerung, sondern auch
deren Art und Leistungsfähigkeit kommen für die Industrie in Be-
tracht. Für die Eignung bestimmter Rassen und Stämme zu industrieller
Arbeit wurden in dem einleitenden Kapitel Beispiele gegeben. Die
Kompliziertheit zahlreicher neuzeitlicher Maschinen, die Sorgfalt und
Genauigkeit, die viele Verarbeitungsvorgänge voraussetzen, stellen hohe
Anforderungen an Pflichtbewußtsein, Schulung und Intelligenz der Ar-
beiter. Daher wird sich die Industrie unter sonst gleichen Bedingungen
zur höchsten Blüte entwickeln in Ländern, deren Bewohner auf
einer hohen Kulturstufe stehen. Ein Vergleich zwischen Europa
und dem noch dichter bevölkerten Ost- und Südasien zeigt das. Eine
gewisse kulturelle Erstarrung der Bewohner jener Länder hat lange Zeit
verhindert, daß die seit Jahrhunderten betriebenen handwerksmäßigen
Gewerbe sich zur modernen Fabrikindustrie entwickelten. Die jetzigen
Anfänge einer solchen sind auf den Einfluß europäischen Geistes zurück-
zuführen, ja, in China und Indien stehen die industriellem Unter-
nehmungen bis zum heutigen Tag nicht selten unter der unmittel-
baren Leitung von Europäern. Andererseits vermögen Fleiß und In-
telligenz der Bewohner eines Landes unter Umständen selbst da blühende
Industrien hervorzurufen, wo die Natur alle Bedingungen dazu versagt
hat, wie z. B. am Nordrande der Rauhen Alb, wo weder Wasserkräfte,
noch Kohlen, noch Rohstoffe, noch günstige Bedingungen für deren
Herbeischaffung gegeben sind,
{m Zusammenhang mit der Kulturentwicklung der Bevölkerung eines Lan-
des steht auch der Stand des politischen und sozialen Lebens, der
ebenfalls für die Entwicklung der Industrie nicht gleichgültig ist. Geordnete
staatliche Verhältnisse, eine Regierung, die durch günstige Handelsverträge die
Wege für. die Zufuhr der Rohstoffe und den Absatz der Fabrikwaren offen-
hält, eine Gesetzgebung, die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer und Ar-
beitgeber gewissenhaft abwägt, alles das kommt der Industrie unmittelbar zugute,
Deutschlands beispiellose industrielle Entwicklung wurde durch die politische
Einigung und Machtentfaltung unseres Vaterlandes nach 1871 und durch ge-
setzliche Maßnahmen, wie die Einführung der Gewerbefreiheit, den Schutz der
Erfindungen und des geistigen Eigentums, die Arbeiterschutz- und Arbeiter-
fürsorgegesetze, nicht unwesentlich unterstützt.
Endlich kommt auch das Klima für die industrielle Tätigkeit
fördernd oder hemmend in Betracht. Zu niedrige Temperaturen machen
die Erzeugung von Rohstoffen unmöglich, erschweren die Benutzung
von Wasserstraßen und Wasserkräften und die Anlage von Eisenbahnen.
Das heißfeuchte tropische Klima versagt dem Menschen jene Spann-
kraft, die gerade die anstrengende industrielle Tätigkeit fordert, weil
sie größere Unterbrechungen oder zeitweise Arbeitsverminderung, wie
sie z. B. die Landwirtschaft kennt, nicht zuläßt. Demgegenüber ist
das gemäßigte Klima mit seinem erfrischenden Wechsel von Sommer
und Winter bei Vermeidung extremer Temperaturen der industriellen
Entwicklung besonders günstig.