Full text: Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde

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ZWEITER TEIL: DER VERKEHR 
Flagge. — Der Anteil der Flotte der Vereinigten Staaten ist während 
des Krieges von 9,4% (1914) auf 27% (1920) gestiegen, aber seitdem 
wieder auf rund 18% gesunken. Die Ursache liegt in einer tatsächlichen 
Wiederabnahme der Schiffszahl. Denn es zeigte sich, daß man in der 
Union zu einer Überproduktion an Fahrzeugen gelangt war und daß 
bei dem nach dem Kriege eintretenden scharfen Wettbewerb im See- 
verkehr eine große Zahl von Schiffen nicht zu beschäftigen war. Was 
von der staatlichen Flotte nicht durch private Reedereien übernommen 
wurde, mußte „auf Wrackung‘“ verkauft werden oder verfault buch- 
3stäblich in den Häfen. 
Immerhin wird die Flotte der Vereinigten Staaten den zweiten 
Platz nach der englischen künftig behaupten und die vor dem Kriege 
zu mehr als neun Zehnteln fremden Schiffen überlassene Ausfuhr ameri- 
kanischer Güter zu einem beträchtlichen Teil selbst besorgen. 
Die deutsche Handelsflotte hatte sich in den letzten Jahrzehnten 
vor dem Kriege glänzend entwickelt. Ihre Transportfähigkeit war 
von 1871 bis 1913 um etwa 600% gestiegen, und hinsichtlich ihres 
Tonnengehaltes nahm sie 1914 mit 5,1 Mill. R. T. unter den Handels- 
flotten der Erde nach der englischen und vor der amerikanischen die 
zweite Stelle ein. Der Weltkrieg vernichtete das stolze Werk fast 
ganz. Soweit unsere Handelsflotte nicht schon während des Krieges 
durch Kaperung, Beschlagnahme und Versenkung um die Hälfte ver- 
ringert worden war, wurde sie nach Friedensschluß bis auf einen kleinen 
Rest an unsere Gegner aufgeteilt — den Löwenanteil sicherte sich 
England mit 2,24 Mill. B.-R.-T. Nicht mehr als 419000 R.-T. ver- 
blieben uns; dabei waren dies ausnahmslos kleine Schiffe unter 1600 R.-T., 
die für die große Überseefahrt nicht zu verwenden waren. Überdies 
verpflichtete man Deutschland, wohl in der Sorge, daß es zu schnell 
eine neue Flotte bauen könnte, in den dem Friedensschluß folgenden 
fünf Jahren Neubauten in einem Gesamtgehalt von 1 Mill. B.-R.-T. 
an die Entente abzuliefern. 
Die deutsche Flotte konnten unsere Gegner vernichten, nicht aber 
die zähe Tatkraft und den Unternehmungsmut deutscher Reeder. Es 
muß als eine ganz hervorragende Leistung gewertet werden, wenn 
unsere Handelsflotte durch Neubau namentlich von Schiffen kleinerer 
und mittlerer Abmessung auf den 29 uns verbliebenen Werften und 
durch Rückkauf vom Ausland erbeuteter deutscher Schiffe wieder auf 
einen Bestand von 3,8 Mill. B.-R.-T. gebracht wurde. Sie ist damit 
nicht nur wieder zu ansehnlicher Größe gelangt, sondern genießt auch 
den Vorzug, die jüngste und modernste Handelsflotte zu sein, bei deren 
Bau alle Erfahrungen und Errungenschaften neuzeitlicher Technik zur 
Anwendung gebracht werden konnten, ein Umstand, der für den 
Wettbewerb im Seeverkehr schwer ins Gewicht fällt. Daß unser ge- 
samter Überseehandel und ein Teil desjenigen anderer Länder wieder 
auf unseren eigenen Schiffen geschehen kann, ist für die Wieder- 
gewinnung der Weltgeltung unseres Vaterlandes, für das Ansehen der 
Deutschen im Ausland und nicht zuletzt für die Erfüllung der uns 
aus dem Versailler Vertrag erwachsenen Verpflichtungen von nicht 
zu überschätzender Tragweite.
	        
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