HN. DIE ÄUSSEREN MERKMALE DES STAATES 237
So entstand das neue Deutsche Reich, so entstand innerhalb seiner Grenzen
in unseren Tagen Großthüringen. Auch der Gedanke, daß sich die Staaten und
Völker des alten Europa gegenüber den in anderen Erdteilen erwachsenen Riesen-
staaten auf die Dauer nur durch engeren Zusammenschluß behaupten können,
der Gedanke der „Vereinigten Staaten von Europa“ ist schon im 18. Jahrhundert,
und zwar von französischer Seite ausgesprochen worden. Neuerdings hat Fr. Nau-
mann die Bildung eines Staatenbundes von „Mitteleuropa“ auf das dringendste
ampfohlen. Freilich würde die Verwirklichung solcher Ideen eine ganz andere
gegenseitige Einstellung unter den europäischen Völkern voraussetzen, als sie
gegenwärtig noch besteht.
Der politische Wert großer Landflächen. Der Wert ausgedehnten
Landbesitzes liegt für einen Staat zunächst in dem Schutz, den der
große Raum an sich gegen Angriffe von außen bildet, namentlich,
wenn sich mit ihm ungünstige klimatische und Bodenverhältnisse
(Wüste, Hochgebirge, Sümpfe, Wälder) und geringe Bevölkerungsdichte
paaren. Sodann wachsen mit der Größe der Landflächen, über die
ein Staat verfügt, im allgemeinen auch seine Hilfsmittel zur Entfal-
tung wirtschaftlicher und politischer Kräfte. In dieser Beziehung sind
auch nichtzusammenhängende Raumgebiete von Bedeutung.
An der Größe des Raumes scheiterte Napoleons russischer Winterfeldzug.
Auch nach dem verlorenen Kriege gegen Japan und dem Zusammenbruch im
Weltkrieg blieb der Russische Staat in seinen wesentlichen Teilen bestehen, und
auch unter den neuen Verhältnissen fühlt er sich als Großmacht. — Die welt-
wirtschaftliche Führerstellung Englands und der Vereinigten Staaten beruht in
erster Linie auf der ungeheuren Menge agrarischer, bergbaulicher und industrieller
Güter, die ihnen ihre großen Landflächen für den Weltmarkt liefern. Wesentlich auf
diese Hilfsmittel ist auch ihr entscheidender Einfluß im Weltkrieg zurückzuführen,
in dem außerdem England und mehr”noch Frankreich die Truppen des Mutter-
landes in erheblichem Maße durch Menschenmaterial aus den Kolonialgebieten
verstärkten.
Daß aber die Größe der Landfläche allein keineswegs die Größe
eines Staates in machtpolitischem Sinne ausmacht, zeigen Staaten
wie Brasilien (8,5 Mill. gkm), China (6,2), Mexiko (2), Persien (1,6) und
andere, die zum Teil zu den weitesträumigen der Erde gehören, ohne
daß ihnen gegenwärtig weltpolitische. Bedeutung zukäme. Ja die große
Landfläche kann unter Umständen sogar ein Schwächemerkmal sein,
sofern weiträumige Staaten, wenn ihnen die einheitliche innere Struktur
fehlt oder ihr Besitzstand in räumlich weit auseinanderliegenden Ge-
bieten besteht, der Gefahr eines Zerfalles von innen heraus am stärksten
ausgesetzt sind. Die Geschichte des Altertums und des Mittelalters
bietet dafür genug Beispiele,
Größe der Bevölkerung. Ein zweiter Maßstab, nach dem wir die
Größe eines Staates beurteilen, ist seine Bevölkerungsmenge; denn
der Zahl der Bevölkerung entspricht bis zu einem gewissen Grade
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Wehrkraft des betreffenden
Staates. Natürlich ist die Zahl der Bewohner allein ‚nicht ausschlag-
gebend, sondern auch deren körperliche und besonders geistige Eigen-
schaften, ihre Kulturhöhe und ihre Charakterbildung.
Rein der Zahl nach können wir auch hinsichtlich der Bevölke-
rung die Staaten in drei Größenordnungen unterscheiden: Staaten mit