Full text: Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde

N. DIE ÄUSSEREN MERKMALE DES STAATES 
245 
Die Tabelle zeigt zu- 
nächst, daß die Flächen- 
größe allein für die 
Stellung eines Staa: 
res als Großmacht 
nicht maßgebend ist. 
Zwar gehören sechs der 
hier angeführten Mächte 
der ersten Größenklasse 
an, für Japan und Öster- 
reich-Ungarn aber trifft 
das nicht zu. Andrerseits 
fehlen die meisten der 
auf S. 232 angeführten großräumigen Staaten, und nicht einmal solch 
gewaltige Gebilde wie China und Brasilien sind vertreten. — Von 
größerer Bedeutung ist offenbar die Bevölkerungsmenge, 
denn alle hier angeführten Staaten verfügen über eine ansehnliche Volks- 
zahl, wenn auch im einzelnen die Unterschiede sehr groß sind. Italien 
besitzt noch nicht den zehnten Teil der Bevölkerung des Britischen Welt- 
reiches. Und doch fehlt in der Reihe China mit seiner gewaltigen 
Volkszahl von 330 Millionen. Auch die Niederlande haben mit ihren 
Kolonialländern mehr Einwohner als Italien. Aber es handelt sich 
dabei zu sechs Siebentel um Kolonialbevölkerung. Es kommt eben nicht 
nur auf die Zahl der Bevölkerung an, sondern auch auf deren Art. 
Das sehen wir an China, das trotz seiner gewaltigen Fläche und seiner 
riesigen Bevölkerungsmasse zur Zeit an politischem Gewicht nur einem euro- 
päischen Mittelstaat vergleichbar ist. Das sehen wir an Indien, das sich trotz 
derselben. Vorbedingungen im Zustand kolonialer Abhängigkeit befindet. Die 
Gebundenheit beider Völker an einseitige religiöse und gesellschaftliche An- 
schauungen (Kastenwesen), die Erstarrung ihrer einst hochentwickelten Kulturen, 
endlich die äußerst geringe Volksbildung*!, das alles schafft eine gewisse Müdig- 
keit und Schlaffheit des Volkes, eine Art Dämmerzustand der Volksseele, der 
die Gesamtheit des Volkes nicht. zum Bewußtsein der tatsächlichen Stärke 
kommen läßt (Wütschke). In diesem Sinne können wir von einem „Erwachen“ 
jener Völker reden, wenn wir an ihre jetzigen Bemühungen um die Reform des 
sozialen Lebens und namentlich um die Hebung der Volksbildung hören. 
Das führt uns zum Dritten, das die Großmacht bedingt: Es ist 
der Wille eines Staates zur Macht. Dieser kommt in verschie- 
dener Weise zum Ausdruck, so in der Schaffung einer großen Wehr- 
macht — man denke an die Flotte Englands oder an die stehenden 
Heere der alten europäischen Großmächte —, in der Steigerung der 
wirtschaftlichen Leistungen, in der Förderung von Bodenbau, Industrie 
und Handel, Technik und Wissenschaft, die alle mittelbar die Macht- 
entfaltung eines Staates unterstützen, schließlich in einer zielbewußten 
Politik, die dem Willen des Volkes einheitliche Richtung und große 
Ziele gibt. Daher beruht auch die Stärke einer Großmacht auf sehr 
verschiedenen Voraussetzungen: bei der einen auf Erzeugung und 
Handel, bei der anderen auf rein militärischen Machtmitteln, bei der 
dritten vielleicht auf den Bevölkerungsverhältnissen, der gesellschaft- 
Tabelle IV 
(Großmächte nach dem Stand von 1914). 
Staat 
1 Yon den Chinesen können 98%, von den Indern 93°%g nicht lesen und schreiben.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.