Full text: Allgemeine Gesellschaftslehre

Die Macht. 
367 
unterscheidet ferner eine „Selbst-Bindung‘“ und eine „Ander- 
Bindung“, welche Unterscheidung wir jedoch erst in späterem Zu- 
sammenhange erörtern werden. 
Wenn wir nun den Sinn der Worte „Sollen“, „Schuld“, „Haftung“, 
„Verantwortlichkeit“, „Verbindlichkeit“ und „Bindung“ erörtert haben, 
so drängt sich die Frage auf, welchen Sinn das vielgebrauchte Wort 
„Pflicht“ hat, ob denselben oder ob anderen Sinn als jene Worte. Bei 
Nennung des Wortes „Pflicht“ stellt sich auch der Gedanke an das 
Gegebene „Sittlichkeit“ ein, ferner aber auch‘an die Gegebenen „Sitte“ 
und „Gewohnheit“, da das Wort „Pflicht“ nur ein „Verbalabstraktum“ 
zum Worte „pflegen“ im Sinne von „die Sitte oder Gewohnheit haben“, 
ist. Um nun zunächst das Gegebene „Gewohnheit“ zu bestimmen, 
gehen wir aus von der Tatsache, daß häufig zwischen Seele und Leib eines 
und desselben Menschen ein und derselbe Wirkenszusammenhang in 
verschiedenen aufeinanderfolgenden Zeitpunkten besteht. Wissen wir 
z.B., daß A. täglich um !/,9 Uhr früh sein Haus verläßt und wollen wissen, 
warum dem so ist, so werden wir, falls wir an A. eine bezügliche 
Frage richten, eine von drei grundsätzlich verschiedenen Antworten 
erhalten können, welche wir in typischen Redensarten darstellen, näm- 
lich 1. „Weil ich um 9 Uhr im Bureau sein will“, oder 2. „Ich tue es aus 
Gewohnheit“ („Ich weiß selbst nicht, ich tue es aus Gewohnheit“), oder 
3. „Das ist nur Zufall, daß ich täglich um !/4,9 Uhr ausgehe“. Im 
ersten Falle meint der Redende, daß die wirkende Bedingung für 
sein tägliches Verlassen des Hauses in jenem Zeitpunkte stets ein Wollen 
abgibt, derart, daß alle diese Wollenaugenblicke Besonderheiten eines 
und desselben identischen Wollens sind, nämlich des Wollens, um !/,9 Uhr 
auszugehen, um um 9 Uhr im Bureau einzutreffen. Jeder dieser 
Wirkensfälle kommt also dadurch zustande, daß das Wissen des A, 
„es sei 14,9 Uhr“, eine wirkende Bedingung dafür abgibt, daß er Un- 
lust daran gewinnt, es bestehe die Möglichkeit, daß er um 9 Uhr nicht 
im Bureau sein werde, kraft welcher Unlust ihm dann stets das Wollen 
zugehörig wird, jetzt um 1/9 Uhr das Haus zu verlassen und ins Bureau 
zu gehen. In solchem Falle nennen wir die „Folge gleichartiger 
Wirkensfälle“ eine „Wirkenswiderholung kraft identischen 
Wollens‘“ oder, da in diesem Falle stets ‚Handlungen‘ vorliegen, 
eine „Handlungs-Widerholung kraft identischen Wollens“. 
Im zweiten unserer Antwortfälle gibt der Redende auch eine iden- 
tische wirkende Bedingung der gleichartigen Wirkensfälle an, aber 
keineswegs ein identisches Wollen, sondern Etwas, was er „Gewohnheit“ 
nennt. In solchem Falle weiß zwar der gleichartig Wirkende, daß es 
eine identische wirkende Bedingung in allen diesen Wirkensfällen gibt, 
er kann aber diese identische wirkende Bedingung nicht in ihrer Be- 
sonderheit angeben, weshalb er auch etwa antwortet: „Ich weiß selbst
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.