Staats- Gesellschaft, Rechts-Gesellschaft- und Wirtschafts-Gesellschaft, 529
gegenwärtigen „Staatsverfassungslehre“ aufzudecken. Vom Standpunkte
einer „Allgemeinen Gesellschaftslehre‘“ sei hier nur die Frage erhoben,
Ansprüche welcher Art eigentlich die sogenannten Verfassungsgesetze
darstellen, wer diese Ansprüche erhebt und an wen diese Ansprüche
gerichtet sind? Mit der beliebten Rede, daß die „Verfassungsgesetze“
eben „Normen“ sind, kann sich eine auf Erkenntnis zielende Frage-
stellung nicht zufrieden geben. Sagt uns nämlich das Wort „Normen“
nichts anderes als das Wort „Richtlinien“, so kann nur festgestellt
werden, daß es im Gegebenen zahllose Richtlinien als besondere identisch
begründete Wirkenszusammengehörigkeiten gibt und eben erst ein Grund
dafür anzugeben ist, warum man nur besondere „Richtlinien“ („Normen“)
als „Verfassungsgesetze“ bezeichnet. Sagt uns aber das Wort „Normen“
nichts anderes als das Wort „Ansprüche“, so muß eben die Frage:
„Von wem erhobene, an wen gerichtete Ansprüche welcher Art?“ klar
beantwortet werden. Fassen wir hier nur die „Verfassungsgesetze“ einer
modernen Republik ins Auge, so stoßen wir zunächst auf die Tatsache,
daß solche „Verfassungsgesetze“ von einer „Verfassung gebenden Körper-
schafts-Gesamtheit“ beschlossen sein können, die nur „zum Zwecke der
Verfassunggebung“ gewählt wurde und gar nicht Inhaber jener Staats-
macht ist, hinsichtlich welcher sie „Verfassungsgesetze“ beschließt, viel-
mehr nur „Inhaber einer Macht, gültige Verfassungsgesetze zu geben“,
während erst die „auf Grund der Verfassungsgesetze gewählten gesetz-
gebenden Körperschaften“ Inhaber jener Staatsmacht sind. Allgemein
bekannt ist ja die Unterscheidung des „pouvoir constituant“ und des
„pouvoir constitue“, mit welcher Unterscheidung nichts anderes gemeint
sein kann, als daß die „Macht, jemandes Verbandbegründungs-
macht zu begründen“ verschieden ist von der kraft jener Macht
begründeten „Verbandbegründungsmacht“. Fassen wir nun die
„Staatsmacht“ als „Verbandbegründungsmacht“ ins Auge, so ist offenbar
die Macht, eine Staatsmacht zu begründen, nicht selbst jene Staats-
macht, ist also auch die „Verfassungsgesetzgebung“ keine „Funktion“,
kein „Akt“ jenes Staates, welcher durch die Verfassungsgesetzgebung
begründet wird. Es erhebt sich allerdings die wichtige Frage, ob über-
haupt eine „Staatsmacht“ durch Ansprüche begründet werden kann.
Man könnte nun zunächst zur Beantwortung dieser Frage etwa an-
nehmen, daß durch die Verfassungsansprüche überhaupt nur eine „Ge-
samtheit von Weisung-Zuständigkeiten“ der gemäß den Verfassungs-
ansprüchen zu wählenden „gesetzgebenden Körperschafts-Gesamtheiten“
begründet wird. In solchem Falle wäre also eine ‚, Verfassungsurkunde‘‘
der Ausdruck einer Gesamtheit von Ansprüchen, in welcher sich An-
sprüche an die künftigen gesetzgebenden Körperschafts-Gesamtheiten
auf „an die Untertanen zu richtende Weisungen‘‘ finden, überdies aber
ein Anspruch an die Untertanen „auf durch jene Weisungen bedingtes
Sander, Allg. Gesellschaftslehre, 34