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neuen ‚Wissenszweiges der verstehenden Sprach- und Kulturwissen-
schaft zu nennen, die ihre erste Vollendung in den Werken von
Schleiermacher und Wilhelm von. Humboldt, diesem „Bacon
der Geisteswissenschaften‘, wie man ihn genannt hat, erleben.
Dann, im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts, gerät das Ver-
stehen-Wissen in Vergessenheit: die naturwissenschaftliche Denkweise
greift auf alle Geistwissenschaften hinüber. Schließlich versucht sie
sogar die Geschichte selbst zu umspannen und führt zu Gewalt-
ätigkeiten, wie sie etwa in Buckles Geschichte der Zivilisation sich
iußerten.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts treten wir ein in
2. die kritische Periode, in der ein bewußter Gegensatz zwischen
Natur- und Geistwissenschaften herausgearbeitet wird: Vicos Geist
lebt endlich wieder auf.
Wohl der erste, der den Kampf gegen das zur Alleinherrschaft ge-
langte naturwissenschaftliche Denken aufnahm, war ein Historiker:
J. G. Droysen. Es geschah in der Gestalt einer Warnung vor der
Vermessenheit, deren die naturwissenschaftlichen Bearbeiter kultur-
wissenschaftlicher Probleme sich schuldig zu machen anfingen. Sie
wendete sich gegen den Vermessensten: Thomas Buckle, dessen
eben erschienenes Wunderwerk Droysen in der „Historischen Zeit-
schrift‘ 1862 zur Anzeige brachte. Die hier angedeuteten Gedanken
hat der Rezensent dann in seiner „Historik“ weiter ausgeführt und
begründet. In der Besprechung Buckles heißt es schon: „Wenn
°s eine Wissenschaft der Geschichte geben soll, (muß) diese ihre
eigene Erkenntnisart, ihren eigenen Erkenntnisbereich haben...
Glücklicherweise gibt es zwischen Himmel und Erde Dinge, die sich
zur Deduktion ebenso irrational verhalten wie zur Induktion, die
mit der Induktion und dem analytischen Verfahren zugleich die
Deduktion und die Synthese fordern, um in der alternativen Be-
‘ätigung beider nicht ganz, aber mehr und mehr, nicht vollständig,
aber annähernd und in gewisser Weise erfaßt zu werden, die nicht
entwickelt, nicht erklärt, sondern verstanden werden wollen.“
„In diesem Bereiche der sittlichen Welt ist alles von der kleinsten
Liebesgeschichte bis zu den großen Staatsaktionen, von der einsamen
Geistesarbeit des Dichters oder Denkers bis zu den unermeßlichen