163
Aber auch die Vertreter der „historischen“ Schule und was ihr
nahestand, waren derselben Meinung: Schmoller so gut wie Adolph
Wagner haben immer wieder als die „Grundwissenschaft‘“ der
Nationalökonomie die Psychologie bezeichnet.
Der Psychologismus war geradezu die Mode des Tages. Auch
andere Kulturwissenschaften verfielen ihm. Ich erinnere an die
Sprachwissenschaft, deren hervorragender Vertreter, H. Paul, mit
seinen Lehren einen großen Einfluß ausgeübt hat. „Das psycho-
logische Element‘, so meinte er, „ist der wesentliche Faktor in
aller Kulturbewegung, um den ‚sich alles dreht, und die Psychologie
ist daher die vornehmste Basis aller in einem höheren Sinne gefaßten
Kulturwissenschaft.“
Für die Begründung des psychologistischen Standpunkts sorgten
die führenden Philosophen der Zeit, Wundt an der Spitze, dessen
Ansichten wir schon kennengelernt haben. Aber auch Sigwart ver-
mochte nicht, sich dem Vorurteil der Zeit zu entziehen. In seiner Logik
lesen wir*: „Nach der Darlegung im Text ist die Psychologie die
'heoretische Grundlage der Geisteswissenschaft . . . Die Psychologie ist
zunächst als das Fundament der theoretischen Disziplinen der
Geisteswissenschaften (der Sprachpsychologie [dieser natürlich:
W, 8.], der Religions-, Kunst-, Wirtschaftstheorie usw.) zu betrach-
ten. Die Gesetzmäßigkeiten (!), zu denen die letzteren gelangen, gehen
schließlich auf psychologische Gesetze zurück.‘
In Anbetracht dieser allgemeinen Zeitstimmung darf es uns nicht
in Erstaunen setzen, wenn wir wahrnehmen, daß auch bei denjenigen
Denkern, die zur Begründung der Geistwissenschaft im letzten
Menschenalter Erhebliches beigetragen haben, ein Hang zum Psycho-
logismus besteht. Das gilt vor allem von Wilhelm Dilthey, dessen
Ansichten ich etwas ausführlicher darlegen will, nicht nur wegen der
Bedeutung seines Werkes, sondern auch deshalb, weil sie in besonders
anschaulicher und ich möchte hinzufügen: verführerischer Weise die
Denkart des Psychologismus uns vor Augen stellen. Der psycho-
4% Herm. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte. Zuerst 1880, Der ange-
führte Satz findet sich in der 4. Aufl. z909 auf S, 6 und ist in der Urschrift ge-
;perrt gedruckt.
% Sigwart, a. a. O. $ 99. 23.