Full text: Die drei Nationalökonomien

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dient. Daß das Urteil richtig ist, das heißt: daß die Wirklichkeit sich 
im Sinne der behaupteten Tendenz bewegt, hat natürlich zur Voraus- 
setzung, daß jene ‚Vermutungen‘ richtig waren. Setzt man im An- 
fang des ı9. Jahrhunderts die ständige Abnahme der Produktivität 
der Arbeit in die Rechnung ein, so irrt man in der Behauptung einer 
„Tendenz‘“ des Kapitalismus ebensosehr, als wenn man für alle 
spätere Zeit über das 19. Jahrhundert hinaus die Steigerung dieser 
Produktivität annimmt. Deshalb hatte Ricardo für das 19. Jahr- 
hundert die Tendenz der Entwicklung falsch, Marx sie richtig be- 
stimmt, während dessen Prognose für die Gegenwart und Zukunft 
falsch war. 
Tendenzen können wir aufstellen für die kleinsten Ausschnitte des 
Geschehens: Einzeliendenzen: etwa die Preisbildung in einem Pro- 
duktionszweige; für eine große Anzahl verwandter Fälle: Häufungs- 
tendenz: etwa die Konzentration der Betriebe in einem Lande; end- 
lich für das gesamte Wirtschafisleben in einer bestimmten Epoche 
(und im Bereiche eines bestimmten Wirtschaftssystems): wie ich 
s8 etwa zuletzt versucht habe für den modernen Kapitalismus. 
Eine Tendenz behaupten heißt immer eine Prognose aufstellen, 
bedeutet also immer, wie ich sagte, eine Projizierung des bisherigen 
Verlaufs eines Geschehens in die. Zukunft. Das muß festgehalten 
werden, damit man Tendenz nicht mit dem wirklich erfolgten Ab- 
lauf des Geschehens verwechselt, was häufig geschieht. Wenn man 
den Ausdruck also auf bereits vollendetes Geschehen anwenden will, 
so muß man es in der Weise tun, daß man in der Vergangenheit 
Zeitpunkte festlegt, von denen aus (in die damalige Zukunft) der 
Ablauf des Geschehens bestimmt wird. Berichtet man etwa über die 
„Tendenz‘“ der Börse an einem bestimmten Tage, so muß man 
hinzudenken: bei Eröffnung der Börse wies die Tendenz in die Rich- 
lung der Hausse, um ein Uhr kam die Hausse zum Stillstand, und 
es entstand die Tendenz zur Festigung der Kurse usw. 
Mit dem Begriff der Tendenz arbeitet nicht nur die theoretische 
Nationalökonomie, sondern ebenso das praktische Leben. Jede Etats- 
Aufstellung, jede Berufsvorbereitung, jede Vorlesungsankündigung, 
jede Gründung eines Geschäfts, jede „Budgetierung‘“ eines Unter- 
nehmens, jeder Abschluß eines Versicherungsvertrages beruht auf 
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