Full text: Die drei Nationalökonomien

2908 
Einen besonders verhängnisvollen Irrtum enthält die Unterschei- 
dung von „reiner‘“ und „angewandtier‘“ Theorie. Alle Theorie ist 
„rein“, nämlich raum- und zeitlos. Man kann wohl von der An- 
wendung der Theorie (in der Empirie und in den Kunstlehren) 
sprechen, aber nicht von „angewandter““ Theorie im Gegensatz zu 
einer „reinen“. Auch die angewendete Theorie bleibt „rein“. Man 
kann auch — wie wir noch sehen werden — den Unterschied von 
allgemeiner und historischer Theorie machen; aber beide sind „reine“ 
Theorien. Allenfalls könnte man die Aprioribestandteile der Theorie 
den übrigen Bestandteilen als „reine‘“ gegenüberstellen. Aber das führt 
auch zu Unklarheiten, so daß man den Ausdruck „reine“ Theorie 
lieber vermeidet. 
Was es mit einer nationalökonomischen Theorie in Wahrheit auf 
sich habe, läßt sich etwa wie folgt umschreiben: 
Von etwas Theorie treiben, hat einmal v. Gottl treffend gesagt, 
heißt nie etwas anderes, als darüber wahrhaft und in Einheit zu 
Ende denken. Machen wir uns klar, was das bedeuten kann. 
„Theorie treiben‘ ist also so viel wie „theoretisch denken‘. Da- 
runter aber haben wir zu verstehen: Akte zur Bildung derjenigen 
Kategorien (Begriffe), mit denen die lebendige Wirklichkeit „um- 
griffen“ werden kann, in denen das Allgemeine im Besonderen er- 
faßt oder — wie wir es auch ausdrücken können — im Wissen auf 
seine grundsätzlichen Bestandteile zurückgeführt wird. 
Im Bereiche der Geistwissenschaft heißt das aber: das Wesen eines 
Sachverhalts, eines Gebildes sich zum Bewußtsein bringen, heißt es: 
den Sinn begrifflich durchdringen, heißt es: objektiven Geist in sub- 
jektiven zurückverwandeln. 
„Eine Theorie aufstellen“ bedeutet dann soviel wie die Einzel- 
begriffe zu einer systematischen Einheit zusammenfügen, bedeutet 
soviel wie die Übertragung der objektiven Sinnzusammenhänge in 
Gedankenzusammenhänge, das heißt in ein Begriffssystem. Frucht- 
bare Begriffssysteme zu schaffen, ist eine der Hauptaufgaben der 
Theorie, und sie erfüllt diese Aufgabe dann, wenn sie die Wirklichkeit 
liebevoll umfaßt und den Sinn des Seienden möglichst getreu in ihren 
Begriffen zum Ausdruck bringt: in einer tunlichst weitgehenden Ent-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.