332
Bemerkenswert ist, daß sich auf unserem Gebiete alle drei Kunst-
lehren ohne Zusammenhang mit der Wirtschaftswissenschaft entwik-
kelt haben, die ebenso fast ohne jeden Einfluß auf das praktische Leben,
3ei es im Geschäft, sei es in der Verwaltung, geblieben ist. Die National-
5konomie hat einmal ihre große Zeit gehabt, in der sie unmittelbaren
Einfluß auf die Praxis ausüben konnte: um die Wende des 18. zum
z9. Jahrhundert, als die Kräfte des Wirtschafislebens nach Befreiung
von den Fesseln strebten und die Wissenschaft ihren Herzenswunsch
nach dem Laissez faire „begründete“. Das war natürlich einfach,
zu erklären: die Regierungen sollen gar nichts tun. Als es sich später
um positive Verwaltungsmaßnahmen handelte, hat die Wissenschaft
versagt: sie sind ohne oder sogar gegen deren Urteil durchgeführt
worden: von der Arbeiterschutzgesetzgebung bis zur Stabilisierung
der Mark. Wenn Nationalökonomen einen persönlichen Einfluß. auf
die Politik ausgeübt haben, wie etwa die deutschen Kathedersozia-
üsten auf die Finanzpolitik oder Handelspolitik oder Sozialpolitik,
so haben sie das gewiß nicht ihren wissenschaftlichen Einsichten,
sondern dem Gewicht ihrer ethischen Forderungen zu danken ge-
habt. Dasselbe gilt von der gewaltigen Wirkung, die der Marxismus
gehabt hat. Auch sie stammt sicher nicht von den wissenschaftlich-
nationalökonomischen Sätzen her, die Marx aufgestellt hat, sondern
ist ausschließlich den in Mystik auslaufenden geschichtsphiloso-
phischen Konstruktionen dieser Heilslehre geschuldet.
Ist nun diese unfreiwillige Askese, die die Nationalökonomie geübt
hat, in der Natur der Dinge begründet oder könnte es auch anders
sein, ähnlich wie im Bereiche des Naturwissens?
Daß die Wirtschaftswissenschaft nie dieselbe Rolle spielen kann wie
die Naturwissenschaft, geht aus dem Gesagten hervor: sie kann nie-
mals Regeln aufstellen, nach denen die Technologie arbeiten könnte.
Daß man das von ihr erwartet hat, hat sicher dazu beigetragen, sie
zur Unfruchtbarkeit zu verdammen.
Doch könnte die Wirtschaftswissenschaft sehr wohl auf andere
Weise die Wirtschaftskunstlehren befruchten, ja: sie könnte unmittel-
bar der Praxis Dienste leisten und darin sogar die Naturwissen-
schaften, die sich doch immer der Vermittelung der Technologie be-
dienen müssen, an Wirksamkeit überflügeln.