Full text: Die Psychologie der Reichsfinanzreform

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unseres Staatslebens bildet. Wenn nun von den Opfern gesprochen 
wird, die die Landwirtschaft bringen soll, so ist zunächst die 
Frage aufzuwerfen, wie es denn eigentich diesem Erwerbs - 
stände geht? Wenn man sich hierbei an die amtlichen Ma 
terialien hält, so liegt die Sache so, daß nach der preußischen 
Einkommensteuerstatistik die Verzinsung der in Handel und In 
dustrie angelegten Kapitalien, soweit es sich dabei um Einkommen 
von über 8000 M. handelt, im Durchschnitt — sage und schreibe 
— über 13 pCt. beträgt, während sich andererseits die in der 
Landwirtschaft angelegten Kapitalien mit etwa 4 oder wenig über 
4 pCt. verzinsen. Meine Herren, selbst dann, wenn zugegeben 
würde, was der Herr Vortragende behauptet, daß durch schärfere 
Veranlagung aus der Landwirtschaft noch mehr herausgeholt 
werden könnte, so bliebe doch noch ein so kolossaler Unterschied 
zwischen dem Gewinn, der aus dem gewerblichen und industriellen 
Kapital und demjenigen, welcher aus dem in der Landwirtschaft 
angelegten Kapital gezogen wird, daß damit die Frage, welche 
Opfer die Landwirtschaft zu bringen bereit sei, sich eigentlich 
von selbst erledigt. Denn einem Erwerbsstande gegenüber, der 
im großen und ganzen — das hat sich nicht allein aus den Steuer 
statistiken, sondern aus einer ganzen Reihe von Erhebungen ge 
zeigt — so wenig leistungsfähig, wie die Landwirtschaft ist, kann 
man meines Erachtens im Zusammenhänge mit der Reiehsfinanz- 
reform nicht gut die Frage aufwerfen: welche besonderen Opfer 
dieser Erwerbsstand denn zu tragen bereit ist. — Es ist ganz 
selbstverständlich, daß die Landwirtschaft ihrerseits auch Opfer 
bringt; aber sie müssen auch in einem angemessenen Verhältnis 
stehen, und ob die in den neuen Steuervorlagen von der Land 
wirtschaft geforderten Mittel zu denen von anderen Erwerbs 
gruppen geforderten in einem richtigen Verhältnis stehen, das ist 
doch noch sehr die Frage. Ich habe in den großen Finanzdenk 
schriften des Reichsschatzamtes, die ja ein sehr umfassendes Ma 
terial enthalten, gerade derartiges vergleichendes Material über 
die Belastung der Landwirtschaft vermißt. Es gibt eine ganze 
Reihe von Arbeiten, die uns darüber Aufschluß geben, und die 
beweisen, daß die Landwirtschaft z. B. in Bezug auf Kreis- und 
Kommunalabgaben schon stark überlastet ist, und ein Vergleich 
der Belastung der städtischen Bevölkerung durch die Kommunal 
steuerzuschläge mit der des platten Landes fällt jedenfalls sehr 
zu ungunsten des letzteren aus. Ich glaube daher, daß sich auch 
aus diesem Grunde die Frage, wer bei Regelung der Reichs 
finanzen in erster Linie Opfer zu bringen hat, nicht schwer be 
antworten läßt. 
Nun möchte ich mit einigen Worten besonders auf eine 
Steuer eingehen, die die Landwirtschaft in hohem Maße berührt, 
nämlich die Nachlaßsteuer. Der Herr Vortragende hat es unter 
anderem als einen Vorzug derselben für die Landwirtschaft hin 
gestellt, daß sie erstens nach dem Ertragswert veranlagt und 
ferner Ratenzahlung zugelassen werden soll. 
Meine Herren, was die Veranlagung nach dem Ertrags wert
	        
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