Full text: Die Psychologie der Reichsfinanzreform

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der Materie vorhanden ist, so scheint es besonders wünschens 
wert, die Frage auch einmal von dem Gesichtspunkte aus 
zu beleuchten, der, im Grunde genommen, jede große Affäre 
regiert; ich meine den Gesichtspunkt der Psychologie, d. h. 
derjenigen geistigen Kräfte und Imponderabilien, wie sie im 
ganzen Volke liegen und wirken, und wie sie zweifellos 
auch hei Regelung der Reichsfinanzen in Betracht gezogen 
werden müssen. Das ganze Problem ist keineswegs ein rein 
wirtschaftliches, — es hängt vielmehr, wie wir sehen werden, 
mit dem Volkscharakter und seinen Komponenten, wie deren 
Manifestationen nach außen hin auf das Engste zusammen. 
Gegenstand meiner Ausführungen wird sein die Beant 
wortung der folgenden Fragen: 
1. Worin liegen die hauptsächlich psychologischen Ursachen 
der Wirtschaftsnot? 
2. Was für Eigenschaften muß der Finanzmann des Reiches 
haben? 
3. Was bringen uns seine Vorlagen und was verlangen 
sie von uns? 
I. Sogleich zum ersten Punkte übergehend, wären als 
Ursachen der Finanznot die folgenden anzuführen: 
1. Die Interesse- und Verständnislosigkeit des Deutschen 
für die öffentlich-wirtschaftlichen Dinge. 
2. Der Mangel des Deutschen an opferwilligem Gemeinsinn. 
3. Die unwirtschaftliche Verwendung des privaten, wie des 
öffentlichen Einkommens in Verbindung mit der sozialen 
Versicherung. 
4. Der Egoismus der Bundesstaaten. 
5. Die Prinzipienreiterei der Parteien. 
6. Die mangelhafte Ausnutzung der wirtschaftlichen Chancen 
gegenüber dem Auslande. 
7. Der Mangel an persönlichen Sympathien des Deutschen 
außerhalb der Grenzen seines Vaterlandes. 
Ohne Aufdeckung eben der tieferen Ursachen des großen 
Nationalübels ist an eine wirkliche Sanierung der wirtschaft 
lichen Verhältnisse nicht zu denken. 
1. Die erste Ursache der Nöte unserer Gemein wirtschaften 
überhaupt, nicht allein des Reiches, liegt in unserer Interesse-, 
Verständnis- und Einsichtslosigkeit für die öffentlich-wirt 
schaftlichen Dinge, wie für die wirtschaftliche Gebarung der 
Gemeinwesen. Das ist sehr zu beklagen; aber der Mangel 
ist nun einmal vorhanden; er wird sich, wenn überhaupt, 
nur in generationenlanger Arbeit beseitigen lassen. Auf 
diesen Mangel ist es zurückzuführen, wenn unsere Kom 
munen, unsere Bundesstaaten, unser Reich sogar, kurz
	        
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