mehrheit anmaßen werde. Umgekehrt: besteht eine Klassen- gliederung, so wird kein Mechanismus, auch nicht das all- gemeine und geheime Wahlrecht, es verhindern können, daß die Demokratie in ‚eine Oligarchie ausartet. Sind aber die Kommunisten so sehr sicher, daß in der so- zialistischen Gesellschaft, an deren Spitze die wirtschaftliche Herrschaft über die schaffenden Kräfte des Volkes den höchsten Grad der Konzentration erreicht, die Entstehung von Klassengegensätzen wirklich unmöglich sei? Kennt doch die Geschichte eine ganze Anzahl von Fällen, daß in einer wirtschaftlich undifferenzierten, aus den Ruinen ‚einstiger Hierarchie emporgekommenen Gesellschaft dennoch aber- mals eine soziale Differenzierung. entstand. ‚Sollte aber eine Oligarchie. sich einmal jener staatlichen Allgewalt bemäch- tigen, — welches Schicksal steht dann der sozialistischen Ge- sellschaft. bevor? Und all das wird um des einheitlichen Wirt- schaftsplanes willen aufs Spiel gesetzt, dessen Grundsätze, wie wir oben gezeigt haben, eigentlich im Dunkel bleiben! Doch wir sind uns wohl bewußt, mit dieser Argumenta- tion an eine taube Wand gekommen zu sein. Es gibt zwei Weltanschauungen, zwischen denen kein Übereinkommen, kein Kompromiß möglich ist. Gemäß der einen. strebt die Menschheit einem glücklichen Endzustand entgegen; die nähere Beschaffenheit dieses seligen Zustandes steht bereits fest und, um den entsprechenden Mechanismus ins Leben zu rufen, ist nur eine Heldentat in idealistischem Auf- schwunge erforderlich. In der neuen, dann zustandekommen- den Gesellschaft, die eine Realisierung des Idealzustandes darstellt, ist aber die persönliche Freiheit überflüssig, denn diese hat ja in einer vollkommenen Gesellschaft nichts zu suchen. Was soll der heil. Augustin in seiner „civitas Dei“ und was soll auch Karl Marx in seiner sozialistischen Ge- sellschaft mit der freien Persönlichkeit anfangen?! Es gibt indessen auch ‚eine andere Weltanschauung. Da- nach gebe es keinen idealen Gesellschaftszustand. Ein Mittel, um das Paradies auf Erden einzuführen, ist unbekannt. Man hat nur in jeder geschichtlichen Epoche die Aufgaben zu lösen suchen, die das Leben selbst den Menschen stellt. Man kann der Menschheit nur die allgemeinsten Richtlinien vorzeichnen, darf ihr aber nicht verhehlen, daß mit jedem erreichten Ziele vor ihr neue Widersprüche und neue Auf- gaben erstehen werden. 74