Das Glück der Menschheit besteht eben in diesem ewigen Streben. Die Trägerin des ewigen Fortschritts der Mensch: heit ist aber die schöpferische Persönlichkeit. Dies erkannt zu haben, ist der große Vorzug der heutigen europäischen Zivilisation, vor allen yorhergegangenen Zivilisationen. Die Idee von der Freiheit der menschlichen Persönlichkeit ist in Stürmen der Reformation geboren, als Luther vor der Ver- sammlung der mächtigsten weltlichen und geistlichen Wür- denträger seine großen Worte aussprach: „So denke ich und anders kann ich nicht.‘ Für die, die auf dem Boden einer solchen Weltanschauung stehen, ist die freie menschliche Per- sönlichkeit der oberste Wert, das höchste und letzte Krite- rium. Und diese unsere Erstgeburt, in der der heilige Talis- man‘ der ganzen europäischen Zivilisation verborgen ist, wollen wir nicht für die Utopie eines Paradieses auf Erden hergeben. Die Intellektuellen waren naturgemäß in der Geschichte Europas die ersten Vorkämpfer für die. freie menschliche Persönlichkeit. Für diese bestiegen sie die Scheiterhaufen, nahmen Leiden auf sich und verschmachteten in Gefäng- nissen. Suchen wir uns auch die seelischen Beweggründe zu vergegenwärtigen, die die russischen Intellektuellen, die ja wohl in ihrer Mehrzahl adligen oder bürgerlichen Ur- sprungs waren, zum Sturmkampf gegen die Autokratie an- trieben, so werden wir auch hier finden, daß dem revolutio- närem Drang, wenn auch nicht immer bewußtermaßen, eine Sehnsucht nach persönlicher Freiheit, eine Empörung gegen die Sklaverei zugrunde lagen. In diesem Freiheitskampf stützten sich diese Intellektuellen bald auf diese, bald auf andere sozialen Schichten, deren Kräfte für Sieg und Nieder- lage im Kampfe ausschlaggebend waren. Jener Teil der In- tellektuellen jedoch, der in der Hitze des Kampfes das Prin- zip der freien Persönlichkeit den Interessen einer bestimm- ten sozialen Klasse opfert, begeht Verrat an seiner geschicht- lichen Sendung. Die Geschichte mag darüber entscheiden, ob dieses Opfer dem Volke das Glück bringen wird. Wir haben uns von unserem ökonomischen Grundthema weit entfernt. Doch das Problem der wirtschaftlichen Freiheit ist nun einmal derart, daß es mit dem allgemeinen Problem der Freiheit der menschlichen Persönlichkeit unzertrennlich verhunden ist. 75