DIE GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG DER ‚INDUSTRIEGEBIETE Alle die genannten Vorbedingungen für eine günstige Entwicklung der Industrie finden sich am häufigsten und am zahlreichsten ver- einigt in den Ländern der nördlich gemäßigten Zone, insbeson- dere in den Gegenden zu beiden Seiten des Atlantischen Ozeans, d. i. in der östlichen Union nebst den angrenzenden Gebieten von Kanada einerseits, in West- und Mitteleuropa andrerseits. Hier vereinigen sich mit dem Reichtum an wichtigen Rohstoffen der mannig- 'achsten Art, wie Baumwolle, Flachs, Wolle, Erzen, ein gewaltiger Vorrat an Brennstoffen, vielfache Gelegenheit zur Ausnutzung von Wasserkräften, ein engmaschiges Verkehrsnetz und eine dichte, auf höchster Kulturstufe stehende, durch Fleiß und Arbeitskraft, Intelligenz und Unternehmungsgeist sich auszeichnende Bevölkerung; und jede dieser Vorbedingungen wird durch ein günstiges Klima in ihrer Wir- zung verstärkt. In den Ländern der gemäßigten Zone werden nicht aur die heimischen Nährpflanzen und industriellen Rohstoffe verar- beitet, sondern auch die meisten Nahrungs- und Genußmittel, Gespinst- ;asern, Kautschuk- und Ölprodukte und selbst zahlreiche mineralische Erzeugnisse der tropischen und subtropischen Zone. Am deutlichsten zeigt das industrielle Übergewicht der Kulturstaaten der nördlich ge- mäßigten Zone die Verbreitung einer der wichtigsten Industrien, die der Baumwolle. Obgleich die kühlgemäßigten Länder diese Pflanze über- aaupt nicht erzeugen, entfällt auf sie auch heute noch der größte Teil aller Baumwollspindeln, die auf der Erde tätig sind. — Die Länder der gemäßigten Zone erzeugen eine den heimischen Bedarf weit über- steigende Menge von Fabrikaten, mit denen sie alle industriell nicht oder wenig entwickelten Gebiete der Erde versorgen. Es ist allerdings fraglich, ob dieser Zustand in vollem Umfange noch lange anhalten wird, Mit dem zunehmenden Eindringen europäischer Kultur- und Wirtschaftsformen werden zumal einige subtropische Länder in hohem Maße zu industrieller Tätigkeit befähigt. Schon treten die Südstaaten der Union, Indien, die Staaten Ostasiens als Konkurrenten in der Baumwoll-, Jute- und Seidenindustrie, Japan, selbst China auch in zahlreichen anderen Industrie- zweigen den alten Industriestaaten entgegen, und auch sonst noch zeigt die Industrie die Neigung, in neue Wirtschaftsgebiete einzudrin- zen. Haben diese erst eine geeignete Arbeiterbevölkerung und befähigte Leiter, 30 besitzen sie gegenüber den heutigen Großindustriestaaten vielfach den Vor- teil reicher Rohstofferzeugung und billiger Arbeitskräfte. In den tropischen Ge- bieten würde dazu noch ein Übermaß von verfügbaren Wasserkräften kommen. [mmerhin ist heute noch nicht zu entscheiden, ob die gelbe und die schwarze Rasse befähigt sind, eine weitgehende industrielle Entwicklung ihrer Länder 3elbst herbeizuführen. Für geraume. Zeit werden jedenfalls die nordatlantischen Staaten noch die Warenerzeugung der Welt in ausschlaggebender Weise be- üerrschen. Besonders gilt dies für die Vereinigten Staaten, wo ein ungeheurer Reichtum an Rohstoff- und Kraftquellen mit den Mitteln einer hochstehenden Technik und einer ins einzeln6 gehenden Organisation nutzbar gemacht wird. Gegenüber der Union und anderen, im Aufstieg begriffenen Wettbewerbern auf dem Industriemarkt wird sich der alte west- und mitteleuropäische Wirtschafts- körper nur durch hochwertige Qualitätsarbeit und verfeinerten Geschmack be- haupten können. 54 ERSTER TEIL: GEOGRAPHISCHE GÜTERLEHRE