IN. DIE INNEREN MERKMALE DES STAATES 269 vom Typus Britisch- und Niederländisch-Ostindiens und Französisch-Nordafrikas; endlich der eigentümlichen Misch- oder Assimilationskolonien der alten spanischen und portugiesischen Kolonialreiche in den heißen Ländern Lateinameri- kas, So scharf sich aber diese Kolonialtypen auch voneinander scheiden, so ver- schieden ihr Schicksal im Laufe der Geschichte sich auch gestaltete, allen ist doch gemeinsam, daß ihre Entstehung sich herleitet aus dem Bestreben der europäischen Staaten, die wirtschaftlichen Werte, teilweise auch die menschlichen Kräfte (Kolonialtruppen!) überseeischer Länder der eigenen Volksversorgung und Volks- erhaltung nutzbar zu machen. Die durch Kolonialbesitz gewährte Erleichterung der heimischen Volkswirtschaft wurde zu allen Zeiten so hoch veranschlagt, daß seit dem Entdeckungszeitalter die europäischen Mächte lange und blutige Kriege um Kolonialbesitz führten. Auch der letzte große Krieg hat mit einem Wechsel in dem Besitz überseeischer Herrschaftsgebiete geendet. England, Frankreich, Belgien, Japan haben die blühenden deutschen Kolonien an sich gebracht, wenn auch unter dem Deckmantel von „Mandaten‘“, Daß es sich aber für einen Staat lohnt, reiche Kolonialländer sein eigen zu nennen, ergibt sich aus der Rolle, die die gegenwärtigen Kolonialmächte in bezug auf den Besitz oder die Kontrolle welt- wichtiger Güter spielen. Am deutlichsten 1äßt sich das am Beispiel Großbritanniens erkennen. Abgesehen von sehr erheblichen Anteilen an der Weltgetreideernte, am Weltbestand an Rindern und Schafen, an der Baumwollerzeugung und Pro- duktion pflanzlicher Öle, verfügte England 1924 nach E. Obst! über 60% der Weltkakaoernte, über 33% der Teeernte, über fast 100% der Jutegewinnung, 43% der Wollerzeugung, 52% der Kautschukernte und 62 % der Goldgewinnung. Was das für die Sicherstellung der Ernährung, für die Rohstoffversorgung der Industrie, für die Belebung des Handels, für die Hebung des. gesamten Wohl- standes im Mutterlande bedeutet, bedarf keines Beweises. Auch bei den anderen Kolonialmächten wirkt sich der Außenbesitz als eine wesentliche Stärkung ihrer wirtschaftlichen und damit auch ihrer politischen Kraft aus. „Freiheit des Meeres‘. Die Selbstversorgung eines Staates durch Kolonial- besitz hat natürlich zur Voraussetzung, daß die Verbindung zwischen Kolonie und Mutterland dauernd gesichert ist. Das ist entweder möglich durch Machtmittel oder aber durch gegenseitige vertragsmäßige Gewährleistung der Staaten untereinander. Bis in unsere Tage sind nur Machtmittel imstande gewesen, überseeische Ver- kehrswege wirksam zu schützen. Wie der heimische Boden eines Staates, so- lange nicht das Zeitalter des ewigen Friedens wirklich angebrochen ist, schließ- lich doch nur durch ein starkes Heer geschützt werden kann, so überseeischer Besitz nur durch eine schlagfertige Flotte. Aber diese allein genügt nicht. Deutsch- land hat trotz seiner verhältnismäßig starken Flotte die Verbindung mit seinen Kolonien während des Weltkriegs nicht aufrechterhalten können. Es gehören dazu militärische Etappen an den wichtigsten Punkten der überseeischen Wege, d. h. namentlich an den Meerengen und Seekanälen. England hat durch seine Flotte in Verbindung mit zahlreichen solchen maritimen Stützpunkten die Zugänge zu seinen Kolonien für alle Fälle gesichert. Es übt aber damit gleich- zeitig eine Art Kontrolle über das gesamte Weltmeer aus und vermag den anderen Staaten die Verbindung mit ihren überseeischen Besitzungen abzuschneiden, d. h. ihnen eine wichtige Voraussetzung für ihre gesicherte Existenz zu nehmen. Ein solcher Zustand der absoluten Seeherrschaft eines einzelnen ist aber auf die Dauer unerträglich, und so ist der Ruf nach der „Freiheit des Meeres“ namentlich seitens Deutschlands schon in den letzten Jahren vor dem Kriege immer lauter erklungen. Die Erfüllung dieser Forderung würde eine beträcht- liche Abrüstung der englischen Kriegsflotte und eine internationale Beaufsichtigung der jetzt zumeist von England beherrschten stra- tegisch wichtigen Meerengen und Seekanäle bedingen. England hat diesen Ruf bisher geflissentlich überhört, hat ihn auch überhört, als er als zweiter E. Obst, England, Europa und die Welt. 1926. (Tabellen im Anhang.)