134 III. Kapitel. a Wenn wir nun schließlich den Sinn des besonderen Wortes „Unter- lassen“ bestimmen wollen, so sei zunächst daran erinnert, daß das Wörtchen „unter“ zweideutig ist, da es nicht nur besondere Raum- beziehung zu „ober“, sondern auch ein „zwischen“ („inter“) bezeichnet, wie z. B. in den Worten „unterscheiden“, „unterhandeln“, „unterbrechen“, „ohne Unterlaß“. Auch in dem Worte „Unter-Lassen“ hat aber das „Unter“ die Bedeutung von „Zwischen“ („inter“), denn jener „unterläßt“ Etwas, der es „zwischen“ zwei besonderen Seelenaugenblicken „läßt“, nämlich „zwischen“ einem „Wollen“ jenes Etwas“ (bzw. einem als Be- dingung solchen Wollens in Betracht kommenden Begehren) und einem „Streben nach jenem Etwas“, derart, daß ihm jener Strebenaugenblick nicht zugehörig wird, vielmehr ein Wider-Strebenaugenblick, in welchem nun auf jenes Etwas wider-gezielt wird... Das „Unterlassen“ ist also ein besonderes „Lassen“, d. h. ein Lassen, das sich im Sinne besonderen „Wider-Strebens“ findet, in welchem gewußt ist, daß das von der eigenen Seele gegenwärtig Wider-Gewollte vorher von der eigenen Seele gewollt (bzw. begehrt) war, ohne daß. es zum „Tun“ auf Grund jenes Wollens gekommen ist. Während wir aber als „Unterlassen“ jeden „eigenen gegenwärtigen Muskelzustand“ als Gewußtes solchen besonderen Wider-Strebens bezeichnen, nennen wir „Unterlassenes“ jenes „Tun“, welches unterlassen wurde, und „Unterlassung“ jede Wirkung, welche sich durch das unterlassene Tun ergeben hätte, Ein „Wider-Streben“, in welchem eigenes gegen- wärtiges „Unterlassen“ gewußt ist, nennen wir ein „unterlassendes Wider-Streben“. Halten wir uns nun unverrückbar klar vor Augen, daß das Wort „Unterlassen‘““ kein ‚Tun‘ bedeutet, sondern einen Leibeszustand als Sinn besonderen Widerstrebens, so erkennen wir nicht nur die ver- schiedene Bedeutung des Wortes „Etwas tun“ und „Etwas unterlassen“, sondern erkennen auch, in welchen Irrtümern der berühmte Streit um die ‚„Kausalität der Unterlassung (d. h. des Unterlassens)‘‘ wurzelt. Während nämlich zunächst jenes „Etwas‘‘, das wir „tun“, stets eine Wirkung unseres Tuns ist — „einen Kasten öffnen“, „eine Tür schließen“, „einen Spaziergang machen‘, „einen Brief schreiben‘‘, „einen Krieg führen“ usw. —, ist jenes „Etwas‘‘, das wir „unterlassen“, niemals eine Wirkung des Unterlassens, sondern eine Wirkung, welche das unterlassene Tun gehabt hätte, also eine Wirkung, welche durch das Unterlassen nicht gewirkt, sondern als Leistung des Unterlassenden ausgeschlossen wurde. Die Besonderheit eines „Unterlassens‘“ wird daher stets durch Worte bezeichnet, welche die Besonderheit des unterlassenen Leistens (und Tuns) bezeichnen, woraus sich auch erklärt, daß die Sprache zwar zahlreiche besondere Worte zur Verfügung stellt, die besonderes „Leisten“ ohne die Worte