44 {1I. Kapitel. lust verbunden denkt. Nimmt:z. B. der Arzt A an B eine schmerz- hafte Operation vor, welche B von ihm verlangt hat, so weiß zwar A im Augenblicke seines Strebens (des „operativen Tuns“), daß B die „Schnitte“ unmittelbar vor Beginn des Tuns des A als mit eigener Unlust verbunden, trotzdem aber emotional günstig gedacht, nämlich als „Mittel“ dafür erwartet hat, daß seine eigene gegenwärtige Unlust unter Verbesserung des ihn betreffenden Wertgesamtzustandes durch jene „Schnitte“ verloren gehen und Lust gewonnen werden wird. Unzutreffend wäre es auch, „Gewalt“ als solche Wirkung zu bestimmen, welche sich als adäquate Erfüllung in Beziehung zu einem Streben darstellt, in welchem der Strebende jene Wirkung als solche Wirkung gedacht hat, die mit Unlust eines Anderen verbunden sein wird. Denn ganz abgesehen von dem Umstande, daß ein Strebender häufig weiß, daß die adäquate Erfüllung seines Strebens zwar mit Un- lust eines Anderen verbunden sein wird, trotzdem aber von dem An- deren als „Mittel“ emotional günstig gedacht wurde, gibt es auch genug Fälle, in welchen der Strebende weiß, daß ein Anderer die Erfüllung dieses Strebens als „nicht mit eigener Unlust verbunden“ denkt, während sie in Wahrheit mit seiner Unlust verbunden sein wird. Sagt also z. B. der Zahnarzt zum Patienten: „Das Ziehen des Zahnes wird nicht schmerzen“ und nimmt, nachdem er beim Patienten Glauben gefunden hat, den Eingriff vor, mit dem Wissen, „daß es doch schmerzen wird“, so ist er selbstverständlich trotz dieses Wissens kein „Gewalttätiger“, weil er eben weiß, daß der Patient unmittelbar vor Beginn des „Zahn- ziehens“ die Wirkung nicht ungünstig emotional gedacht hat. Schließ- lich kann „Gewalt“ auch nicht bestimmt werden als adäquate Erfüllung eines Strebens, welche mit Unlust eines Anderen verbunden ist. Denn wenn z. B. A dem B eine Mitteilung macht, die Unlust des B erweckt, ohne daß A diese Unlust vorausgesehen hat, so ist A selbstverständlich kein Gewalttätiger, wenn ihm nicht in seinem Streben das Wissen zugehörte, daß B solche Mitteilung emotional ungünstig denke. „Gewalt“ ist also eine Wirkung lediglich als adäquate Erfüllung eines Strebens, in welchem auch gewußt wurde, daß ein Anderer jene Wirkung emotional ungünstig gedacht hat, und zwar in jenem vor Beginn des Gewalt-Strebens letzten Augenblicke, da er sie überhaupt dachte, als solche Wirkung gedacht hat, durch welche unter Verschlechterung des ihn betreffenden Interessengesamtzustandes eigene Lust verloren und eigene Unlust gewonnen würde. Sagt also z. B. jemand, der an einer seiner Meinung nach unheilbaren Krankheit leidet, zu seiner Pflegerin: „Bitte, geben Sie mir eine starke Injektion, damit ich endlich sterben kann“, so übt die Pflegerin, wenn sie diese Bitte erfüllt, keine Gewalt gegen den Kranken, wenn sie auch weiß, daß der Kranke früher derartige