372 U VI. Kapitel. a möglich. Allerdings ist aber jemand nur dann ein „sittlich gesinnt Strebender“, wenn er nach besonderer eigener Lust strebt, nämlich eben nach „Lust sittlicher Gesinnung“. Wer „mit sittlicher Gesinnung handelt“, strebt also stets derart nach einer. Verbesserung des eine andere Seele betreffenden Interessengesamtzustandes, daß jene Ver- besserung als auf die eigene Seele bezogener Wert lediglich als wir- kende Bedingung für eine eigene besondere Lust, nämlich eine eigene „Lust sittlicher Gesinnung“ gedacht ist, eine Lust, in welcher nur „auf andere Seele bezogener verwirklichter Wert“ gedacht ist. Wer aber „mit sittlicher Gesinnung Etwas läßt“, der strebt wider eine Verschlech- terung des eine andere Seele betreffenden Interessengesamtzustandes derart, daß jene Verschlechterung als auf die eigene Seele bezogener Unwert lediglich als eine wirkende Bedingung für eine eigene be- sondere Unlust, nämlich eine „Unlust sittlicher Gesinnung“ gedacht ist, eine Unlust, in welcher nur „auf andere Seele bezogener ver- wirklichter Unwert“ gedacht ist. Wer also etwa einen Anderen beschenkt, um Lust daran zu gewinnen, daß er den den Anderen betreffenden Inter- essengesamtzustand verbessert hat, handelt mit sittlicher Gesinnung, hin- gegen handelt er ohne sittliche Gesinnung, wenn er den Anderen be- schenkt, um Lust daran zu gewinnen, daß durch diese Schenkung dem Anderen Dankbarkeit für den Schenker zugehörig geworden ist. Die „Lust sittlicher Gesinnung“ darf auch nicht etwa verwechselt werden mit der „Lust an der Ander-Lust“, die „Unlust sittlicher Gesinnung“ darf auch nicht etwa verwechselt werden mit der „Unlust an der Ander- Unlust“. Deshalb ist auch jene „ethische Lehre“ unrichtig, welche die „Sittlichkeit“ auf der „Mitlust“ und dem „Mitleide“ aufbauen will, denn habe ich etwa „Mitleid“ mit einem anderen Menschen, dessen Seele Unlust daran hat, daß ihm gegenwärtig kein Branntwein zur Verfügung steht, und verschaffe ich jenem Menschen Branntwein, so handle ich zwar „aus Mitleid“, aber durchaus nicht „mit sittlicher Ge- sinnung‘“, woferne ich weiß, daß durch das „Branntweintrinken“ der die andere Seele betreffende Interessengesamtzustand verschlechtert wird. Es ist also auch niemand deshalb ein „sittlich Handelnder“, weil er danach strebt, „Mitlust“ zu gewinnen. Denn jemand kann etwa danach streben, einen Anderen zum Geschlechtsverkehr mit ihm zu veranlassen, weil er weiß, daß er „Lust an der geschlechtlichen Lust des Anderen“, also besondere „Mitlust“ gewinnen wird, wobei er aber nichts weniger als „Sittlich gesinnt“ handelt, wenn er weiß, daß der Geschlechtsverkehr für des Anderen Gesundheit schädlich ist, also den den Anderen be- treffenden Interessengesamtzustand verschlechtert. Ein „Verhalten mit sittlicher Gesinnung“ ist aber noch keineswegs ein „sittliches Verhalten“, vielmehr ist nur das „rich- tige bzw. quasi-richtige Verhalten mit sittlicher Gesin-