274 VI. Kapitel. Wort „sittliche Tat“ ein zweifache Beziehung besonderer Wirkung kennzeichnendes Wort, da „sittliche Tat“ jede Leistung ist, welche sich als eine durch „Wollen mit sittlicher Gesinnung“ bedingte Verbesserung des eine andere Seele betreffenden Interessengesamtzustandes darstellt, also besondere Wirkung als Erfüllung einer Absicht sitt- lichen Sinnes ist. Ebenso aber wie die „Liebesethik“ und „Gesinnungsethik“ ge- aannten Lehren geht auch die „Imperativ- oder Gebotethik“ genannte Lehre in die Irre, da ein besonderes Verhalten niemals um dessent- willen ein „sittliches Verhalten“ ist, weil es die Erfüllung besonderen Anspruches darstellt, „sittliches Verhalten“ als solches Verhalten niemals aus besonderem Vergesellschaftungszusammenhange heraus er- zlärt werden kann. Daß zunächst überhaupt zwei ganz verschiedene Gegebene mit sprachlich nahe verwandten und sehr ähnlichen Worten, aämlich „Sitte“ und „Sittlichkeit“, bezeichnet werden, erklärt sich leicht aus dem Umstande, daß eben ursprünglich das „sittengemäße Ver- halten“ auch als solches Verhalten angesehen wurde, das wir heute „‚sittliches Verhalten“ nennen, daß „Sittlichkeit“ außerhalb der „Sitte“ oder gar im Gegensatz zur „Sitte“ nicht gedacht wurde. So konnte denn auch als „sittliches Verhalten“ nur jenes Verhalten ge- dacht werden, durch welches ein auf sittengemäßes Verhalten zielendes Gebot erfüllt wurde. Als Erfüllung besonderen Gebotes betrachten aber auch jene das „sittliche Verhalten“, welche die Richtlinien sitt- licher Handlungen“, bzw. die „Quasi-Richtlinien sittlicher Unter- lassungen“ für die Richtlinien bzw. Quasi-Richtlinien des von Gott Gebotenen halten, so daß „Sittlichkeit“ nichts anderes wäre als Zugehörig- geit göttliches Gebot erfüllenden Verhaltens zu besonderem Menschen. Es ist aber klar, daß „Geboterfüllung“ niemals und unter keinen Umständen ein „sittliches Verhalten“ sein kann, da jener, der ein Sebot erfüllt, nicht auf Gewinn von „Lust sittlicher Gesinnung“ bzw. auf Vermeidung von „Unlust sittlicher Gesinnung“ zielt, sondern stets auf Gewinn von Lust daran, daß er sein „Sollen“, nämlich eine ihn vetreffende ungünstige Zurechnungslage aufgehoben habe. Aber auch jene, die „sittliches Verhalten“ nicht als solches Verhalten betrachteten, welches ein „Gebot sittengemäßen Verhaltens“ oder ein „göttliches Gebot“ erfüllt, blieben trotzdem meist in einer unklaren Wendung der „Imperativ- und Gebotethik“ stecken, da sie als „sittliches Verhalten“ jenes Verhalten bestimmen wollten, welches das „Gewissen“ des ein- zelnen Menschen „diktiert“, wobei man ungezwungen von „Geboten“ und „Verboten“ des „Gewissens“ sprach, welche durch die „drohende sittliche Reue“ „sanktioniert“ sind. Die „Gewissensethik“ genannte Lehre ist aber wohl jene ethische Lehre, in welcher sich. die größte Häufung von Irrtümern und Unklarheiten findet. Zunächst ist nämlich