Die Macht. 375 selbstverständlich „Gewissen“ ein Allgemeines, nämlich besonderes Wisssen, und wird nun gesagt, daß ein besonderer Seele zugehöriges Allgemeines, nämlich das „Gewissen“, dieser Seele Etwas gebietet oder verbietet, an diese Seele etwa sogar einen „kategorischen Imperativ“ richtet, so liegt nicht einmal ein bequemes und entschuldbares sprach- liches Bild vor, sondern eine aus völliger Unklarheit geborene Zumutung blühenden Unsinnes. Nehmen wir aber einmal diesen Unsinn als Sinn an, so bleibt doch die Tatsache, daß jener, der Etwas tut oder läßt, um Gewinn besonderer Unlust, nämlich „sittlicher Reue“, zu vermeiden, sich deshalb nicht „sittlich“ verhält, weil er eben nicht auf Gewinn von „Lust sittlicher Gesinnung“ oder wider Gewinn von „Unlust sitt- licher Gesinnung“ zielt. Als „Reue“ überhaupt bezeichnen wir jede Unlust jemandes daran, daß ihm besonderes Verhalten zugehört bzw. nicht zugehört hat, als „sittliche Reue“ bezeichnen wir insbesondere jede Unlust jemandes daran, daß ihm besonderes Verhalten zugehört bzw. nicht zugehört hat, woferne sich im Gegenständlichen dieser Un- lust überdies nur der Sachverhalt findet, daß durch jenes der eigenen Seele zugehörig gewesene Verhalten eine Verschlechterung des eine andere Seele betreffenden Interessengesamtzustandes veranlaßt wurde bzw. durch jenes der eigenen Seele nicht zugehörig gewesene Verhalten eine Verbesserung des eine andere Seele betreffenden Interessengesamtzu- standes veranlaßt worden wäre. „Sittliche Reue“ ist also weder „Lust sittlicher Gesinnung“ noch „Unlust sittlicher Gesinnung“, Überdies jedoch hat die „Gewissensethik“ den „Subjektivismus“ und „Psychologis- mus“ der „Gesinnungsethik“ zum höchsten Gipfel gesteigert, indem sie das „Gewissen“, also den besonderer Seele zugehörigen Gedanken darüber, was „gut“ oder „böse“ sei, zum Maße der „Sittlichkeit“ er- hebt, damit freilich das Wissen um das Gegebene „Sittlichkeit“ schließ- lich einem zerstörenden — allerdings Vielen willkommenen — Skepti- zismus ausliefert. Wird aber etwa eingewendet, daß in der „Gewissens- ethik“ nicht das „Gewissen“ als Wissen um Gut und Böse, sondern nur das „Gewissen“ als „wahres“ Wissen um Gut und Böse zum Maß- stabe der Sittlichkeit erhoben wird, so hat man, ohne es zu merken, bereits die „Gewissensethik“ als „Gebot- und Gesinnungsethik“ verlassen und hat anerkannt, daß es nicht besondere Gedanken sind, aus welchen das „Sittliche“ erkannt werden kann, vielmehr besondere im Ge- gegebenen vorhandene „identisch begründete Verhältnisse“, „Richtlinien“ und „Quasi-Richtlinien“ erkannt sein müssen, bevor gesagt werden kann, daß das „Gewissen“ einer besonderen Seele ein „wahres“ Wissen um (zut und Böse ist. . Die „Gebotethik“ führt nun in allen ihren Spielarten zur „Pflicht- ethik“, Die „Pflicht“ — wir sprechen jetzt nur von der sogenannten „Sittlichen Pflicht“ — wird bestimmt als ein „Sollen“. eine „Gebunden-