Die Macht. 3797 fehlt. Es ist also reine Dichtung, die „Sittlichkeit“ bloß auf das „Ge- wissen“ aufzubauen und gar davon zu sprechen, daß das „Gewissen“ „gebietet“ und „verbietet“, und daß die „Sanktion“ solcher Ansprüche eine „sittliche Reue“ darstellt, Denn, ob jemandem ein „Wollen bzw. Wider-Wollen sittlicher Gesinnung“ oder eine „sittliche Reue“ zugehörig wird, hängt nicht bloß von seinem „Gewissen“, sondern auch von seiner Empfänglichkeit für besondere Unlust bzw. Lust ab, hängt also keines- wegs bloß von seiner „reinen Vernunft“ ab, so daß schon aus diesem Grunde die Behauptung, die Sittlichkeit gründe auf „Geboten der reinen Vernunft“, schlechthin sinnleer ist, ganz abgesehen von dem Umstande, daß „reine Vernunft“ (== „Denken“) als Allgemeines gar nicht gebieten kann. Es gibt „Richtlinien bzw. Wider-Richtlinien sittlichen Verhaltens“, aber „Richtlinien bzw. Wider-Richtlinien“ sind nicht „Gebote bzw. Ver- bote“, sind keine Ansprüche, in der „Gebotethik“ jedoch führt die ver- hängnisvolle Verwechslung von „Anspruch“ und „Richtlinie“ („Norm“) von „Gesetz als Anspruch“ und „Gesetz als identisch begründete Wir- genszusammengehörigkeit“ zu der Behauptung, daß ein Allgemeines, welches sich als ein Wissen um besondere Richtlinie darstellt, ein Verhalten gemäß jenen Richtlinien beansprucht, welche Behauptung aber nur reine „Dichtung“ ist. Nun könnte man aber etwa auf dem Boden einer von den Ge- danken der „Gebotethik“ gereinigten „Gewissensethik“ sagen, daß „sitt- liches Verhalten“ jemandes jedes Verhalten sei, welches ihm durch sein Wissen um bestehende eigene „sittliche Pflicht“ zugehörig wurde, also jedes Verhalten, mit welchem darauf gezielt wird, daß nicht der eigenen Seele kraft ihres „Gewissens“ als unmittelbarer grundlegender Bedingung eine „sittliche Reue“ zugehörig wird. Indes ergibt sich aus dem Ge- sagten, daß ein solches Verhalten kein „sittliches“ Verhalten wäre, da in solchem Falle kein Verhalten-Seelenaugenblick vorliegt, in welchem sich ein emotionaler Gegensatz zwischen gegenwärtiger „Unlust sittlicher Gesinnung“ und gedachter „Lust sittlicher: Gesinnung“ oder zwischen gegenwärtiger „Lust sittlicher Gesinnung“ und gedachter „Unlust sitt- licher Gesinnung“ findet. Gibt etwa jemand eine Sache, welche er gefunden hat, dem Eigentümer „aus sittlicher Gesinnung“ zurück, so zielt er lediglich darauf, Lust an dem Sachverhalte zu gewinnen, daß der Eigentümer die verlorene Sache wieder in seinem Besitze hat, er zielt aber 2icht auf Verhinderung des Gewinnes „sittlicher Reue“, da ihm, falls er überhaupt durch seine Handlung Lust sittlicher Ge- Sinnung gewinnen will, gar kein Gedanke an die Mög- lichkeit eigener sittlicher Reue an dem Lassen jener Handlung zugehören kann. Wird hingegen die Sache dem Eigen- tümer zurückgegeben, um den Gewinn eigener sittlicher Reue zu ver- hindern, so gehört dem Handelnden gar keine Unlust sittlicher Ge-