88 wertet sein: „Quasi animos a gignentibus habeamus!‘‘ (Boccaccio). Man mag hier von „Individualismus“ sprechen, sollte aber dieses abgegriffene, vieldeutige Wort so selten als möglich gebrauchen. Wichtig für unser Problem ist das mit dieser Verweltlichung und Vereinzelung verbundene Erwachen eines vielseitigen Interesses an den besonderen Dingen dieser bunten Welt. Es erwacht, wie das vor allem Burckhardt nachgewiesen hat, im Zeitalter der Renaissance das Interesse am Individuellen: am Porträt, an der Biographik, an der Psychologie: „Entwicklung des Menschen!“ Es erwacht das Interesse an der Andersartigkeit, Viel- artigkeit, Eigenart der Erscheinungen: an fremden Völkern und deren Kulturen, an vergangenen Zeiten, an den Vorgängen der Gegenwart (Zeitung!), an der Örtlichkeit, an der Tier- und Pflanzen- welt ebenso wie an dem Kunstwerk (Sammlungen!). Dieses Erwachen- des Interesses an den KEinzeldingen.. steht nun aber wiederum im engsten Zusammenhange mit der Veränderung; die die Stellung des erkennenden Subjekts zur Wirklichkeit er- fährt. Denn wie alles sich wandelt, so auch diese. Die erkennenden Subjekte selbst werden nach ihrer sozialen Herkunft andere: an Stelle der Kleriker treten Literaten, Schriftsteller, Professoren, Staats- männer, Geschäftsleute, Laien aller Art, und die Art, wie sie die Welt betrachten, wird ebenfalls eine andere: es entsteht die mo- derne „Wissenschaft“, der wir uns nunmehr zuwenden, 2, Das Wesen der modernen Wissenschaft Auch die neue Form der Erkenntnis erhält, wie es nicht anders sein kann, ihr Gepräge durch ı. die Verweltlichung des Wissens. Diese Säkularisation äußert sich in der Begründung des Wissens, in der Zwecksetzung des Wissens und im Gegenstande des Wissens (und der Art seiner Er- fassung). Die Begründung des Wissens wird insofern verweltlicht, als das Wissen von der Offenbarung auf Vernunft und „Erfahrung“ gestellt wird. „Das Band zwischen den religiösen Ideen als Mitteln der Konstruktion und der Wirklichkeit wird zerrissen“ (Dilthey). Damit entsteht ein neuer selbständiger Kulturbereich neben Religion.