93 Forschung geworden, mit dessen Hilfe diese ihre Methoden in einer ganz außergewöhnlichen Weise verfeinert und vervollkommnet hat. Die Als-ob-Betrachtung ist im Grunde nichts anderes als die äußerste Konsequenz des Nominalismus. Und nominalistisch ist die Wissen- schaft ihrer innersten Natur nach: „real“ ist für sie nur das zu- fällige einzelne, was „dahinter“ steckt, ist imaginär, flatus vocis. Wie alle echte Philosophie realistisch, so ist alle echte Wissenschaft nominalistisch eingestellt, Es ist ein glücklicher Gedanke. der wiederum dazu beiträgt, unser Verständnis für die ganz besondere Eigenart modern-wissenschaft- licher Einstellung zu vertiefen: die entscheidende Wendung, die der europäische Geist während des Mittelalters zum Nominalismus nimmt, in Zusammenhang zu bringen mit der schon erwähnten Auf- lösung der alten Gebundenheiten und der Zerstäubung der Mensch- heit, dann aber dieser nominalistischen Auffassung einen wesent- lichen Anteil an dem Aufschwunge der Wissenschaften zuzu- schreiben‘, Während des Altertums und lange während des Mittel- alters bleibt das Individuum umschlossen von und verbunden mit großen Verbänden, zuletzt mit der Gemeinsamkeit der kosmischen Natur: daher ist das Interesse nicht auf die Erforschung der Einzel- tatsachen, sondern des Ganzen gerichtet. „Solange der einzelne nicht sich selbst als das Maß des übrigen fühlt, solange die eigene Person ihm nur so weit von positiver Erheblichkeit zu sein scheint, als sie eingestellt ist in das seinen Wert auf sie ausstrahlende Ganze, so lange dünkt ihm auch das gegebene Reale in seiner Einzelheit nicht als ein würdiger Gegenstand seines Erklärungsbestrebens, wird es ihm nicht zum wissenschaftlichen Problem.“ 4 Siehe z. B. Dilthey, WW. Bd. I; Karl Pfibram, Die Entstehung der individualistischen Sozialphilosophie (z912), S. 43f.; P. Hofmann, Die anti- ‘hetische Struktur des Bewußtseins (1914), S. 346. Die Ausführungen II.,s sind sehr beachtenswert: Seltsamerweise aber macht H. den Schnitt zwischen Altertum und Neuzeit schon bei Augustinus, während doch in der Substantialität ihres Denkens Antike und Christentum ganz gewiß zusammengehören und der gemeinschaftliche Gegensatz zu dem funktionalistisch-nominalistischen Denken die Neuzeit bildet. Vgl. auch P. Honigsheim, Zur Soziologie der mittelalterlichen Schaolastik in der Erinnerungsgabe für Max Weber. 1923. Band II.