108 Die Gestalten sind infolgedessen auch mathematisierbar. Ja, die Ver- treter der „Gestalttheorie‘“ legen besonders‘ Wert darauf, zu betonen, daß ihre Betrachtungsweise die Mathematisierbarkeit der Natur- erscheinungen sogar steigere. „Gestalten‘‘ sind nach der Meinung Köhlers überall dort (und nur dorl?), wo „in der Physik die theoretischen Aufgaben auf partielle Differentialgleichungen, auf Integralgleichungen und auf Systeme simultaner algebraischer Glei- chungen führen“ 14, Während der Strukturbegriff als Ordnungsprinzip in den Natur- wissenschaften erst seit einem Menschenalter allgemeinere Gellung sich zu verschaffen beginnt, ist ein anderer Allgemeinbegriff von jeher in Übung gewesen und kann als das wichtigste Ordnungsprinzip der modernen Naturwissenschaften angesehen werden, das ist 3. der Gesetzesbegriff. Mit seiner Hilfe will der Forscher die Erscheinungen in der Natur in der Zeit ordnen, indem er Formeln aufstellt für die im Ablauf der Naturprozesse beobachteten Regel- mäßigkeiten. Es handelt sich bei den Gesetzen also immer nur um Regelmäßigkeiten der Sukzession, nicht der Koexistenz; denn — nach Meinung des modernen Naturforschers — sind „letzte Elemenle des Universums nicht Dinge, sondern Vorgänge“, Da es sich bei den beobachteten Erscheinungen nur noch um Größen handelt, so sind alle Naturvorgänge Bewegungen: so hatte es Galilei verkündet, der zuerst die Bewegung zum Gegenstande der Untersuchung machte und nicht die Dinge, und dabei ist es bis heute geblieben. Das Nalurgeselz ist eine „Regel zeitlicher Aufeinanderfolge von Bewegungen als Aus- druck der Metamorphose eines seinem Wesen nach ewig Gleichen“. Der Bereich, innerhalb dessen man diese Regelmäßigkeiten der Be- wegung feststellt, heißt das „Krafifeld“. Die Ordnung erfolgt nun in der Weise, daß man die beobachteten Tatsachen innerhalb eines Krafifeldes „funktionalisiert“, das heißt in Beziehung setzt [v=f(z,y,z...)] und in den Bewegungen dieser Veränderlichen die Konstanz gewisser Kombinationen während eines Naturvorganges feststellt, die sich beobachten läßt, obwohl die Größen selber im Laufe des Vorgangs sich ändern. Da man die Beziehungen in unendlich kleinen räumlichen und zeitlichen Ab- 4% W, Köhler, Die physikalischen Gestalten. 1924. S. 117.