236 Das dem Naturforscher allein Bekannte ist das Einzelding: er kennt von vornherein nichts anderes als seinen Schimmel — vom Pferd weiß er nichts. Zum Wissen vom „Pferd“ steigt er auf durch die Erfassung des in anderen Individuen ähnlichen Aussehens Gleichen, das übrig bleibt, wenn individuelle Merkmale außer acht gelassen werden. Er bildet den Begriff Pferd, indem er nun die in allen beobachteten Exemplaren übriggebliebenen konstanten Merk- male zu einer Einheit verbindet. Und so fort zum Einhufer, Huftier, Säuger, Tier, Lebewesen usw. Offenbar ist nun das Verfahren, das wir bei der Bildung der Be- griffe in den Kulturwissenschaften anwenden, nicht nur von dem aben geschilderten verschieden, sondern es ist ihm geradezu entgegen- gesetzt. Wir bilden weder den Individual- noch den Allgemeinbegriff durch äußerliche Zuordnung der beobachteten konstanten Merk- male, sondern durch eine Bestimmung der Merkmale aus dem geisti- gen Zusammenhang, den der Gegenstand bildet oder in dem er steht, heraus. Alle kulturwissenschaftliche Begriffsbildung, so kann man es ausdrücken, erfolgt apriorisch. Den Individualbegriff bilde ich, indem ich dem mir bekannten geistigen Kern die ihm ge- mäßen Merkmale zuordne. Und bei der Bildung des kulturwissen- schaftlichen Allgemeinbegriffs verfahre ich nicht anders. Nicht durch „Abstraktion“ bilden wir den Begriff vom Kultur-Allgemeinen, son- dern wie man es nennen mag: durch Position. Da alle geisteswissen- schaftlichen Allgemeinbegriffe entweder Begriffe von geistigen Vor- gängen oder Sinnzusammenhänge von Artefakten sind, so sind sie sämtlich wert- oder sinn- oder zweckbezogen. Der Wert oder Zweck oder Sinn aber ist ebenso allgemein wie besonders: der allgemeine wie der besondere Zweck wurde gleichzeitig von mir erlebt und bei der Begriffsbildung in den Begriff hineingetragen. Logisch aber, werden wir sagen müssen, ist der allgemeine Zweck oder Sinn das Frühere, da er das a priori für die Entstehung des Einzeldinges ist. Grundfalsch wäre es also, hier den Allgemeinbegriff durch allmäh- liches Aufsteigen von der konkreten Einzelheit sich bilden und ihn also durch „Weglassen‘“ von Merkmalen entstehen zu lassen. Sein die eine viel nähere Verwandtschaft mit geistwissenschaftlichen als mit naturwissen- schaftlichen Begriffen haben, ja die vielleicht geistwissenschaftliche Begriffe sind.