334 des „positiven“ oder „Arbeitswissens“ zu, das gesucht wird, um Herrschaft über Menschen und Dinge auszuüben. Unzweifelhaft liegt dieser Auffassung eine Wahrheit zugrunde. Aber sie enthält doch nicht die ganze Wahrheit“ Sie ist ent- standen zu einer Zeit, als man unter Wissenschaft im wesentlichen die Naturwissenschaften, ja sogar nur die Wissenschaften von. der toten Natur verstand. Für diese gilt sie. Sie gilt schon nicht für die Wissenschaften von der lebendigen Natur. Denn es wäre absurd, an- zunehmen, daß man Zoologie nur treibe, um zoologische Gärten ein- zurichten, und Botanik, um die Heilkräuter für die Apotheker zu bestimmen. Sie gilt bei richtigem Verständnis gar nicht für die Geist- wissenschaften. Wir haben gesehen, daß deren Verwendbarkeit für praktische Zwecke oder auch nur für die Ausbildung einer Kunst- jehre gering ist. Wenn diese Verwertbarkeit wirklich der einzige Zweck der Geistwissenschaften wäre, wenn man etwa Philologie wirklich nur betriebe, um Sprachen besser zu lernen, oder Kunst- wissenschaft, um sich vor Betrügereien im Kunsthandel zu schützen, so lohnte deren Studium der Mühe wahrhaftig nicht. Dasselbe gilt von der Nationalökonomie, die seit ihrem Bestehen kaum ein Staats- mann oder ein Unternehmer oder selbst nur ein Vertreter der Privat- wirtschaftslehre um ihren Rat gefragt hat. Ich habe gezeigt, daß sie Praktikern und namentlich Kunstlehrern in Zukunft mehr sein könnte, als sie bisher gewesen ist. Aber ich möchte doch annehmen, daß die Bedeutung und der Sinn einer Wissenschaft wie der National- ökonomie noch woanders zu suchen seien als in dieser Verwertbarkeit für praktische Zwecke. Sie liegen letzten Endes doch wohl in den Eigenwerten, die sie schafft. Aber die Wissenschaft und gerade auch die Geistwissenschaft soll doch „dem Leben dienen“. Das ist die Anforderung, die heute jeder stellen wird, nachdem vor ein paar Menschenaltern Nietzsches Mahnruf erklungen ist#, den wir alle im Tiefsten unserer Seele für berechtigt halten und der heute mehr denn je am Platze ist. Wir 38 Siehe namentlich seine zweite „Unzeitgemäße Betrachtung“, die heute immer noch „zeitgemäß“ ist, im x. Bande der alten Großoktavausgabe und die Nachträge dazu im 10. Bande.