64 VII Das Problem der grundsätzlichen Geltung des Meistbegünstigungsprinzips. Wenn auch in der hochprotektionistischen Nachkriegszeit dieses „Empfinden“ nicht sehr lebhaft war, scheut man sich doch in normalen, mehr freihändlerisch gerichteten Zeiten von dem Prinzip der Gewährung gleicher Konkurrenzbedingungen für die übrigen Staaten abzuweichen ?. Es ist gewiß bezeichnend, daß jetzt gerade der Völkerbund in diesem Sinne den Ausbau und die Verbreitung des Meistbegünstigungsgrund- satzes propagiert. Er empfiehlt die Meistbegünstigungsklausel als ‚la stipulation fondamentale destinge A former la base des relations Econo- miques internationales ? 3.“ Die internationalen Handelsbeziehungen sollen nicht mehr ausschließlich durch zweiseitige Verträge geregelt werden, in denen Leistung und Gegenleistung gegeneinander auskalkuliert wird. Vielmehr soll dieses Vertragssystem durch multilaterale Konventionen ersetzt bzw. unterbaut werden. Die Basis dieser neuen handelspolitischen Verfassung soll der Grundsatz der allseitigen Meistbegünstigung bilden. Aus diesen Bestrebungen ist der Entwurf der Musterklausel des Wirt- schaftskomitees (s. S. 8) hervorgegangen, der ein — vorläufig — disposi- tHives Recht der Meistbegünstigung schafft. — Von der weiteren Aktivi- tät und noch mehr von der moralischen Autorität des Völkerbundes wird es nunmehr abhängen, ob sich in absehbarer Zeit eine allgemeine Überzeugung von der rechtlichen Notwendigkeit der grundsätzlichen Geltung des Meistbegünstigungsprinzips Bahn bricht. Friedensvertrag vom 10. Mai 1871 hingewiesen, der in Art. ı1 als Grundlage für die wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern den Grund- Satz der gegenseitigen Meistbegünstigung vorsah. L So war vor dem Kriege für das handelspolitische Verhältnis zwischen den suropäischen Staaten die gegenseitige Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstig- ten Nation bzw. für das Fremdenrecht die Inlandsparität der Normalfall. In der Nachkriegszeit räumte Deutschland, das durch den Friedensvertrag einseitig gegenüber den früheren Feindstaaten zur Gewährung der Meistbegünstigung ver- Pflichtet wurde, grundsätzlich auch den übrigen Staaten die Meistbegünstigung ein, ohne daß eine entsprechende Verpflichtung bestanden hätte. Durch die Bekannt- machung vom 28. Juni 1920, die auf Grund des Gesetzes über die Anwendung der Meistbegünstigungsklausel auf nicht meistbegünstigte Länder vom 21. Juli 1920 (RGBIl. 1920, S, 1488) erging, wurde bestimmt: „Soweit eine vertragsmäßige Zoll- behandlung für den Wareneingang aus dem Auslande zugelassen ist, hat diese bis auf weiteres allgemein auf Waren jeder Herkunft Anwendung zu finden.“ * Vgl. die Resolution der Internationalen Handelskammer auf dem Kongreß in Stockholm vom Jahre 1927 (Memorandum presente au Comite consultatif de V’Organisation €conomique, April 1928): La Chambre de Commerce Internationale l6sire affirmer 4 nouveau qu'elle considere V’application generale de cette clause comme la condition essentielle de la r£alisation d’une politique liberale dans les Schanges internationaux. ®* Comit6& Economique, Rapport vom 23. Jan. z929, S. 7. Diese Empfehlung erstreckt sich allerdings nur auf das Zollwesen, welches der besondere Gegenstand der Untersuchung des Wirtschaftskomitees war. Für das Fremdenrecht wird im allgemeinen die Inländerbehandlung gefordert. Vgl. den S. 2 zitierten Entwurf eines Abkommens über die Behandlung der Ausländer.