Entwicklung der Sozialversicherung. Die gewerbliche Entwicklung nach Einführung der Maschine und das Anwachsen der Großbetriebe hatten in Deutschland wie in anderen Kultur— staaten eine Neuschichtung der Bevölkerung zur Folge. Neben die selb— ständigen Unternehmer und Handwerker traten als ein neuer sozialer Stand die unselbständig beschäftigten gewerblichen Arbeiter. Dieser neuen Arbeiterschicht fehlte eine ausreichende Sicherung ihrer wirtschaftlichen Daseinsmöglichkeit. Es mangelte an dem notwendigen Schutze gegen Gefahren für Leib und Leben bei der Arbeit. Da die Arbeiter darauf angewiesen waren, durch ihre körperliche Arbeitskraft täglich den Lebensunterhalt zu erwerben, wurden sie bei Beeinträchtigung ihrer kör⸗ perlichen Arbeitsfähigkeit meist völliger Mittellosigkeit preisgegeben. Die Armenunterstützung gewährte zwar den notdürftigsten Lebensunterhalt. Doch empfanden gerade die besten unter ihnen die Annahme von Almosen als eine Herabsetzung, zumal da der Empfang von Armenunterstützung regelmäßig eine Minderung der staatsbürgerlichen Rechte zur Folge hatte. Freiwillige Vereinigungen zur gegenseitigen Unterstützung führten nur auf wenigen Gebieten und in beschränktem Umfang zu einer Besserung der Lage. Auch das Reichshaftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871, das den durch Betriebsunfälle Verletzten einen privatrechtlichen Schadenersatzanspruch gegen den Unternehmer einräumte, brachte keine ausreichende Unfall⸗ fürsorge. Insbesondere verlangte es von dem Verletzten regelmäßig den schwierigen Nachweis, daß den Unternehmer oder seine Leute ein Verschul⸗ den traf. Und auch wenn dieser Nachweis gelang, konnte der Schaden⸗ ersatzanspruch wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Unternehmers oft nicht verwirklicht werden. Diesen Abelständen suchte man in Deutschland auf einem völlig neuen Wege zu begegnen: Am 17. November 1881 erging die denkwürdige Botschaft Kaiser Wilhelms des Ersten, die das Friedenswerk der sozialen Reform durch die Schaffung einer umfassenden Versicherungsgesetzgebung einleitete. Sie lautete: „Wir halten es für Unsere kaiserliche Pflicht, dem Reichstag die För⸗ derung des Wohles der Arbeiter von neuem ans Herz zu legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürgschaft seines inneren Friedens und den Hilfsbedürf⸗ tigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie 12