- 3 - Prophezeien ist ein undankbares Geschäft. Das haben neuerdings alle die an maßgebenden und nicht maßgebenden Stellen stehenden Persönlich keiten erfahren, die — wie man zu ihrer Ehre annehmen muß, aus innerster Überzeugung — uns mit apodiktischer Sicherheit den glücklichen Ausgang des Krieges vorausgesagt haben. Erfahren mußten es aber auch die, die, wie ich, entgegengesetzter Ansicht waren und namentlich seit dem Eintritt Amerikas in den Krieg und seitdem auch ein Blinder die Wirksamkeit der Hungerblockade sehen mußte, von einem mindestens nicht siegreichen Ende des Krieges überzeugt waren. Unsere Überzeugung mußten wir in unserm Innern verschließen oder konnten sie höchstens im engsten Freundeskreise schüchtern laut werden lassen. Auch die leiseste Warnung machte die Zensur der stellvertreten den Generalkommandos, deren Handhabung ihrer fast unbegrenzten Macht befugnisse nicht am wenigsten an dem Zusammenbruche der inneren Front schuld ist, unmöglich, und selbst im engsten Kreise riskierte man, die allerhöchste Ent rüstung sonst ganz verständiger Leute zu erregen, sobald man nur den gering sten Zweifel an dem siegreichen Ausgange des Krieges, an der Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit des O-Bootkrieges, der uns Amerika auf den Hals gehetzt, und an der Möglichkeit unseres Durchhaltens äußerte. Die heutigen völlig ungeklärten Verhältnisse machen vollends jede Voraussage von heut auf mor gen zur Unmöglichkeit. Ich werde mich denn auch schwer hüten, hier Prophe zeiungen über die Zukunft unserer Finanz- und Steuerpolitik zum besten zu geben. Nur wie diese sich meiner Ansicht nach möglicherweise gestalten kann, nicht wie ich erwarte, daß sie sich gestalten w i r d, sei in kurzen Um riffen angedeutet. Zn einer so trostlosen Finanzlage, wie überhaupt in so verzweifelter Lage, wie gegenwärtig Deutschland, hat sich wohl noch nie ein Eroßstaat befunden. Wir ernten jetzt die Früchte der Mißachtung der finanziellen Folgen des Krieges während des letzteren, an der Reichsregierung und Reichstag gleich schuldig sind, da sie den militärischen Stellen das diesen abgehende Verständnis für diese Seite des Krieges hätten beibringen müffen, statt sich ihrerseits auch den Anschein zu geben, als glaubten sie an die Unerschöpflich- keit unserer finanziellen Kräfte. Am 15. Februar hat der Reichsfinanz minister Schiffer unsere effektiven Kriegskosten auf 161 Milliarden be ziffert, worunter sich die ungeheuere Summe von 58 Milliarden schwebender Schulden befindet. Wieviel noch an Kriegsentschädigungen an unsere Feinde hinzukommen wird, ist noch nicht zu übersehen. Vor dem Kriege wurde unser Volksvermögen auf etwa 330—400 Milliarden geschätzt (für 1911 H e l f f e - r i ch 331—337, Ballod 331, für 1914 Steinmann-Bucher 376—397 Milliarden). Alluzuviel Wert lege ich auf diese Schätzungen nicht. H e l s f e r i ch hat sich in seiner späteren staatsmännischen Laufbahn als ein derartiger Optimist erwiesen, daß ich allen seinen zu für uns günstigen Ergeb nissen führenden Berechnungen und Schätzungen einigermaßen skeptisch gegen überstehe, und mein Mißtrauen wird noch gesteigert, wenn es sich, wie bei der H e l f f e r i ch schen Schrift, um einen Beitrag zu einem anläßlich des Regie rungsjubiläums Wilhelms II. erschienenen Werke über die Entwicklung