Full text: Die Lehren des Marxismus im Lichte der russischen Revolution

zemergelter Petrograder Gelehrten einen Vortrag über „Die 
Probleme der Volkswirtschaft im Rahmen des Sozialismus“ 
hielt, — unter diesem Titel verbarg ich meine prinzipielle 
Kritik des wissenschaftlichen Sozialismus. Der Kommunis- 
mus war damals von seinen Siegen berauscht. Die Sowjet- 
regierung führte ihren Kampf mit Wrangel erfolgreich zu 
Ende und versprach nun, wo sie die Hände bald frei haben 
wird, auch mit allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten schnell 
fertig zu werden. So versicherten uns ihre Anhänger. Also 
mitten in diesem größten Triumph der kommunistischen 
Stimmungen erlaubte ich mir in meinem Vortrage zu be- 
haupten, daß das ökonomische Problem des marxistischen 
Sozialismus unlösbar, daß der Untergang unseres Sozialis- 
mus unvermeidlich sei, und ich zeichnete‘ sogar einige 
Übergänge zu der kapitalistischen Wirtschaftsordnung vor, 
die später bei der Einführung der Neuen Wirtschaftspolitik 
teilweise denn auch verwirklicht wurden. Mein Vortrag er- 
regte Aufmerksamkeit. Ich mußte ihn in geschlossenen 
Versammlungen vielmals wiederholen. 
Der Rückzug des russischen Sozialismus trat bald ein. 
im März 1921 mußte Lenin die Neue Wirtschaftspolitik 
(NEP) proklamieren. Gleichzeitig entstanden Hoffnungen 
auf eine Wiedergeburt einer nichtkommunistischen Literatur. 
{m Grunde hatte ja der Kommunismus in der Zeit seiner 
größten Entfaltung noch keinen prinzipiellen Kampf der 
Wortfreiheit angesagt. Indem er alle Äußerungen freien 
Geistes unterdrückte, berief er sich entweder auf die Kriegs- 
notwendigkeit oder auf den Mangel an materiellen Hilfs- 
quellen. Es fehlte an Papier selbst für Propagandaflugschrif- 
en, — wie sollte man es für die Herstellung von Erzeug- 
aissen bürgerlicher Schriftsteller hergeben ?! 
Mit dem Verschwinden der Kriegsfronten und dem Wieder- 
aufleben der Wirtschaft unter der NEP fielen diese Ein- 
wendungen weg. Privatverlage traten ins Leben, in Petro- 
grad wurden sogar einige nichtkommunistische Zeitschriften 
gestattet. Da entschloß ich mich in der Zeitschrift „Ökono- 
mist‘, die seit Ende 1921 von der „Russischen Technischen 
Gesellschaft‘ in Petrograd herausgegeben wurde, meine 
Aufsätze über den Sozialismus drucken zu lassen. Ich sagte 
mir: Die Zauberkraft, die der Marxismus bisher auf die Kom- 
munisten ausgeübt hatte, ist nunmehr, nach der bitteren 
Erfahrung, stark erschüttert, und es wird diese vielleicht
	        
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