V1L. DIE STÄTTEN DER INDUSTRIE 153
Die mannigfaltige Industrie im Sächsischen Erzgebirge, die vielfach auf der
Ausnutzung von‘ Wasserkräften beruht, leidet bei großer Trockenheit häufig
unter Wassermangel, im Frühjahr unter zu langer Eisbindung der Wasserkräfte,
Die Bedeutung der Luftfeuchtigkeit für die Textilindustrie, der winterlichen
Schneedecke für die Holz- und Papierindustrie wurde schon früher (S. 9,
84 und 115) erwähnt.
Da vielfach an den Orten der Erzeugung von industriell wertvollen
Rohstoffen die übrigen Bedingungen der Industrie fehlen, so wan-
dern jene nach solchen Gebieten, in denen die Bedingungen
günstig sind. In den früheren Zeiten geringer Verkehrsentwicklung
geschah das viel seltener als heute. Die weitaus meisten der da-
maligen Gewerbe waren bodenständig, d. h. sie verarbeiteten
die gewonnenen Rohstoffe am Orte ihrer Erzeugung. / Umgekehrt
sind die heutigen Großindustrien zum größten Teil nicht
bodenständig. Sie benutzen alle die zahlreichen Einrichtungen des
modernen Verkehrs, um Rohstoffe oder Brennmaterialien oder beides
herbeizuführen. Zuerst geschah das mit wertvollen Produkten, die
eine Verteuerung durch die Fracht leicht ertragen konnten, wie Edel.
erzen, Edelsteinen, Pelzwerk, hochwertigen Kolonialwaren, dann auch
mit leichteren Massengütern, wie Tabakblättern, allerlei Gespinstfasern,
tierischer Wolle u. dgl. Infolge der zunehmenden Verbilligung der
Frachten lohnte es sich schließlich, selbst schwere Massengüter vor
ihrer Verarbeitung weit zu transportieren: Holz zum Schiffbau, Eisen
und andere Erze, Kohle wandern heute in großen Mengen zu den
Zentren des industriellen Lebens.
Freilich machen sich die Unterschiede im „Transportwiderstand“ der ein
zelnen Roh- oder Kraftstoffe auch heute noch geltend. Während Steinkohle
und Koks als hochwertige Brennstoffe zu den wichtigsten Massengütern des
Weltverkehrs gehören, ist die Braunkohle wegen ihres hohen Wassergehaltes
und ihres geringen Heizwertes kein Gegenstand des Fernhandels. Von der
Erzeugung des Mitteldeutschen Braunkohlensyndikats wurden im Jahre
1921/22 fast 50% im Bereich von 50 km: Entfernung, mehr als 82% im Um
kreis von 100 km verbraucht, und noch nicht 4% überschritt die 300-km
Grenze. — Die höhere Exportfähigkeit der schwedischen und spanischen Eisen
erze gegenüber solchen anderer Länder beruht auf ihrem hohen Metallgehalt
Dieser macht es noch lohnend, Erze von Narvik nach Amerika zu trans
portieren. .
Andererseits muß für die große Menge der erzeugten Industriewaren
auch das Absatzfeld ein ausgedehntes sein. Wiederum bedient sich
die Industrie dazu des Verkehrs. Auch die in den Industriestätten
nötigen Menschenmassen werden vielfach durch die Eisenbahn herbei:
geführt und nach der Arbeit wieder an ihre oft weit entfernt liegenden
Wohnstätten gebracht. Ebenso setzt die Herbeischaffung von Lebens:
mitteln und Gebrauchsgegenständen aller Art für die in den Industrie-
gebieten angehäufte Bevölkerung entwickelte Verkehrseinrichtungen
voraus. So bildet auch der moderne Verkehr eine wichtige
Grundlage der Industrie. Daher sind die Brennpunkte des Kisen:
bahn-, des Fluß- oder Seeverkehrs zugleich meist Sitze der verschieden:
artigsten Industrien,