Il. DER WASSERVERKEHR
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nutzbare Lauflänge von 22000 km auf, das ist mehr als die Hälfte der gesamten
schiffbaren Flußlänge in der Union (42500 km). Trotzdem hat der Riese für
Jen vereinsstaatlichen Binnenverkehr bei weitem nicht die Bedeutung, die man
nach seiner Größe ‚erwarten sollte. Das hängt vor allem damit zusammen, daß
seine Laufrichtung senkrecht zur ostwestlich gerichteten Hauptverkehrsachse
der Union liegt. Ferner ist der Mississippi ein unbändiger Geselle, der bei
seinen. zahlreichen gewaltigen Hochwassern den Zustand der Fahrrinne fort-
während beträchtlich verändert und der Befahrung immer neue Hindernisse in
len Weg legt. Das schnelle Wachstum seines Deltas ist der Schiffahrt äußerst
ungünstig, und nur, mit großer Mühe kann der mittlere Arm, der „Südpaß“,
lem Seeverkehr bis New Orleans, dem Mündungshafen des Stromes, offen.
gehalten werden. Alle diese Hindernisse könnten freilich durch Kunstbauten be-
seitigt werden. Zu solchen ist es aber unter dem mächtigen Einfluß der Eisen-
bahngesellschaften, die die Konkurrenz der Binnenschiffahrt zurückzudrängen
suchen, bisher nicht gekommen. Ob dem Mississippi künftig mit der Weiter-
entwicklung des Panamaverkehrs als Zubringer zu diesem eine große Rolle be
schieden sein wird, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Vorläufig ist jeden-
falls die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten zur Aufbringung von
Geldern für eine großzügige Regulierung des Mississippisystems noch nicht zu
gewınnen.
Eine viel bedeutendere Stellung im amerikanischen Verkehrsleben
nimmt das Schiffahrtsgebiet der Großen Seen und des Lorenz-
stromes ein. Die fünf Großen Seen bilden die größte Binnenwasser-
ansammlung der Erde, die in ihrer Gesamtfläche 285000 qkm, das ist
erheblich mehr als die Hälfte des Deutschen Reiches, umfaßt. Sie liegen
an der Grenze zweier mächtiger Staatswesen mit einer gewaltigen, noch
immer steigenden wirtschaftlichen Entwicklung. Die ungeheuren Lager
von Eisenerzen, Kupfererzen und Kohle, die riesigen Getreideflächen und
Viehweiden, die ausgedehnten Waldgebiete ihrer Küstenländer liefern der
Seenschiffahrt riesige Massen von Schwergütern. Stark verkehrsfördernd
ist die Tatsache, daß die größte Erstreckung der Seen in westöstlicher
Richtung liegt, also in der Richtung des Ausgleichsbedürfnisses zwischen
dem Eisen und landwirtschaftliche Erzeugnisse produzierenden Westen
und dem kohlenreichen, dichtbevölkerten und industriell entwickelten
Osten. Dazu kommt, daß die Seenhäfen die denkbar vollkommensten
Einrichtungen für Ladung und “Entladung besitzen. Diese Tatsache,
ferner die Größe der Ladungen und der Entfernungen verbilligen den
Verkehr derart, daß beispielsweise zur Zeit die Fracht für eine Tonne
Eisenerz auf 1000 englische Meilen nur etwa 2 Mark beträgt.
Zwar sind die die Seen unter sich und mit dem Meere verbindenden
Flußstrecken reich an Wasserfällen und Stromschnellen, von denen die
Niagarafälle nur die größten und bekanntesten sind. Aber alle diese
Störungen der Schiffahrt wurden unschädlich gemacht durch Regulie-
rungen und Kanalbauten, deren Anfänge schon in den Beginn des
19. Jahrhunderts fallen. Sie haben durch allmähliche Verbesserung,
namentlich in den letzten Jahrzehnten, solche Abmessungen erhalten,
daß das Seengebiet von Schiffen befahren werden kann, die mittleren
Ozeandampfern an Größe gleichkommen. Die „lake navigation“, die
Seenschiffahrt, rechnet im ganzen Gebiet der vier oberen Seen mit
18—20 Fuß, also rund 6 m Tiefgang. Die Seen wurden auf diese
Weise kultur- und wirtschaftsgeographisch zum Rang von wirklichen