GEOGRAPHISCHE STAATENKUNDE
daher politisch und wirtschaftlich unselbständiger Inseln hinzutreten.
Solche sind Norwegen, Rußland, Persien, Siam, Brasilien.
Mehrteilige Staaten bestehen aus mehreren räumlich getrennten
Landgebieten, von denen jedes vermöge seiner Größe und Bedeutung
ne gewisse Selbständigkeit besitzt. Von Natur aus mehrteilig sind
reine Inselstaaten. Solche gibt es, von unbedeutenden Ausnahmen
abgesehen, nicht mehr. Sie waren auch früher selten und von geringer
Bedeutung. Denn jedem Staate ist das Bedürfnis nach räumlicher Er-
weiterung eigen, und eine solche gestattet in größerem Maße nur das
Festland. Gerade die beiden ehemaligen Inselstaaten, die es allein
zur Stellung von Großmächten gebracht haben, England und Japan,
beweisen das aufs deutlichste.
England hat schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts auf das europäische
Festland übergegriffen und um seine Besitzansprüche in Frankreich dreihundert
Jahre lang gekämpft. Dann hat es nach und nach in allen Erdteilen große
Gebiete erworben, so daß heute der kontinentale Besitz des englischen Welt-
veiches viel größer ist als der insulare, und während und nach dem Kriege hat
ss mehrfach den Versuch gemacht, sogar in Nordeuropa wieder Fuß zu fassen.
Japan hat den entscheidenden Schritt zur Festlandsmacht durch die Besitz-
aahme von Korea getan, und zum eisernen Bestand seiner gegenwärtigen Außen-
politik gehört das Bestreben, seine Hoheit auch über die Mandschurei und auf
Teile Sibiriens auszudehnen.
Zu den mehrteiligen Staaten gehören auch die meisten Halb-
inselstaaten, wie Dänemark, Griechenland, Italien, ‚die aus einem
lestländischen Hauptteil und mehreren größeren Inseln bestehen.
Die dritte Form der mehrteiligen Staaten bilden diejenigen, bei
denen die einzelnen Teile nicht durch Meer, sondern durch andere
Landteile voneinander getrennt werden, die mehrteili gen Land-
3taaten (Abb. 183, 184, 187). Auch diese verschwinden jedoch wie
die reinen Inselstaaten mehr und mehr. Denn in ihrer Zerstückelung
liegen große Nachteile, die, abgesehen von der Umständlichkeit der
Verwaltung und der Erschwerung des gesamten wirtschaftlichen Ver-
kehrs, vor allem ‚durch die Schwierigkeit der Landesverteidigung
gegeben sind.
Aus der Vergangenheit seien als bekannteste Typen solcher Staaten das
habsburgische Spanien und die zahlreichen Kleinstaaten des früheren Deutsch-
land genannt. Bis in unsere Tage lebte jene Staatsform in gewisser Weise
in den thüringischen Staaten weiter, von denen aber die meisten bei der
Neuordnung nach dem Kriege zu einem einheitlichen Staatswesen, zu einem
sinfachen Staate, sich zusammenschlossen. Preußen hatte bis 1866 im Rhein-
land eine große Exklave und hat nach dem Verlust des Polnischen Korridors
in Ostpreußen wieder eine solche erhalten. Ein bemerkenswertes Beispiel eines
mehrteiligen Kontinentalstaates besteht gegenwärtig noch in den Vereinigten
Staaten, die auf dem amerikanischen Festland außer dem Hauptland noch
las Territorium von Alaska und die kleine mittelamerikanische Exklave der
Danamazone besitzen.
Eine besondere Abart der mehrteiligen Staaten sind die Kolonial-
staaten, d.h. die Staaten mit überseeischem Besitz. Sie unter-
scheiden sich von den anderen dadurch, daß ihre Teile politisch nicht
gleichwertig sind, indem sich die überseeischen Gebiete in Abhängig-
keit vom Stammland befinden. Dies ist das Herrenland, jene die
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