Full text: Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde

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GEOGRAPHISCHE STAATENKUNDE 
Zwei Drittel der Bevölkerung Amerikas und fast die gesamte 
Einwohnerschaft Australiens und Neuseelands sind europäischer Ab- 
stammung. Dagegen hat Großbritannien, namentlich Irland, im 
19. Jahrhundert 8—10 Millionen Menschen verloren, Deutschland 5 
bis 6 Millionen. Auch Italien und Spanien verloren bis 1910 ins- 
gesamt 6 Millionen Menschen durch Abwanderung. Aber diese Aus- 
wanderung bedeutete gleichzeitig eine ungeheure, nie vorhergesehene 
Ausbreitung der europäischen Herrschaft. Denn auch da, wo 
die Europäer nur in geringer Zahl einwanderten, wußten sie vermöge 
ihrer überlegenen Intelligenz und höheren Kulturstufe die Herrschaft 
an sich zu reißen. Sie eroberten große Gebiete und machten sie 
sich als Kolonialland nutzbar. Der Kolonialbesitz der europäischen 
Staaten hat einen Umfang von der siebenfachen Größe unseres Erd- 
teils. So stehen denn 80% der bewohnten Erde und 70% ihrer 
Bewohner unter der Herrschaft des europäischen Geistes: die Erde 
wurde europäisiert. 
Allerdings scheint dieser Prozeß gegenwärtig seinen Höhepunkt 
erreicht oder vielleicht schon überschritten zu haben. Einmal haben 
in den letzten Jahren nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch 
andere Länder, wie besonders der Australische Staatenbund, durch ge- 
setzliche Bestimmung den weiteren Zuzug von Einwanderern auch aus 
europäischen Staaten erheblich eingeschränkt. Dann aber ist auch 
in der Eingeborenenbevölkerung zahlreicher Länder der Widerstand 
gegen die wirtschaftliche und politische Bevormundung seitens der 
Europäer stark gewachsen. Die Völker Ostasiens, Indiens und selbst 
die Neger Afrikas haben das Wort von der „Selbstbestimmung der 
Völker“ wohl vernommen. Der Weltkrieg hat ihnen gezeigt, daß auch 
der weiße Mann nicht unbesiegbar ist, und hat sie in dem Bestreben 
gestärkt, ihre Geschicke in eigene Hand zu nehmen. 
Von ähnlicher Bedeutung wie die überseeische Auswanderung im 18. und 
19. Jahrhundert waren in früherer Zeit die Wanderbewegungen, die sich inner 
halb des Kontinentes von einem europäischen Staat zum andern vollzogen. 
Freilich waren es nicht so große Massen, die dabei in Betracht kamen. Ihre 
Zuwanderung hatte nicht so entscheidenden Einfluß auf die Bevölkerungszahl 
und -zusammensetzung der betroffenen Länder. Um so größer aber war 
der Einfluß auf ihre kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung. Man denke 
an die Bedeutung der französischen Emigranten zur Zeit des Großen Kur- 
fürsten für die Entwicklung der preußischen Industrie, an den Einfluß der 
Nämischen Einwanderung auf den Osten Deutschlands oder an den der deutschen 
Kolonisten auf die wirtschaftliche Erschließung Südrußlands und der mittleren 
Wolgaländer, Ungarns und Siebenbürgens, nicht zu vergessen der Verdienste 
deutscher Bergleute um die Eröffnung des Bergbaus in Nordungarn, im Ural 
und in Sibirien, Die zwangsmäßige Auswanderung mohammedanisch-türkischer 
Bewohner Griechenlands nach der Türkei und griechischer Bewohner Klein- 
? Australien stemmt sich unter dem Einfluß der „Labour Party“ grundsätzlich gegen jede 
Kinwanderung, Ob aber 6 Mill. Einwohner ein Land, das’ ein Vielfaches dieser Zahl ernähren 
kann, bei der zunehmenden Raumnot benachbarter Völker auf die Dauer werden halten können, 
erscheint zweifelhaft. Die gelbe Sturmilut des viel zu eng zusammengepferchten Japaner- und 
Chinesentums brandet empor und fordert neues Siedlungsland um jeden Preis. Schon erheben 
ernste englische Politiker warnend ihre Stimme und verlangen die Öffnung des fünften Krdteils 
für ungehinderte weiße Rinwanderung. In Bondon erschien 1926 ein Buch, das dies brennende 
Problem auf die knappe Formel bringt: „Australien — weiß oder gelb?“ (RR. Hennie.)
	        
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