Full text: Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde

I. DIE ÄUSSEREN MERKMALE DES STAATES 247 
zu einem Großstaat aufzusteigen, sobald sich die Völker ihrer selbst und 
der Werte, die in ihrem Boden liegen, wieder bewußt werden. Man hat sie 
daher mit Recht als gehemmte Großmächte bezeichnet. In der gegen- 
wärtigen Entwicklung Rußlands deuten bereits viele Anzeichen darauf hin, daß 
es beginnt, diese Hemmungen wieder zu überwinden. — Anderseits nehmen 
Frankreich und Italien, die auf der Seite der Sieger im Weltkriege standen, 
gewiß den Titel weltwichtiger Großmächte für sich in Anspruch, und doch 
sind sie das in Wirklichkeit nicht. Italiens Mangel an Kohle, die auch durch 
den Ausbau, von Wasserkräften nicht ganz ersetzt werden kann, seine geringen 
Vorräte an Eisen, der Bedarf an fremdem Getreide für seine verhältnismäßig 
dichte Bevölkerung, für deren Überschuß nicht das genügende brauchbare 
Kolonialland zur Verfügung steht, bedeuten ebenso viele Hemmungen seiner 
Großmachtspolitik. Für Frankreich bildet neben anderen Sorgen die oben ge- 
schilderte Bevölkerungsnot einen Schwächepunkt, der das immer wieder hervor- 
tretende Bedürfnis nach Anlehnung an andere Mächte, den andauernden Ruf 
nach „Sicherheit“ gegenüber der vermeintlichen deutschen Gefahr erklärt. In 
die Reihe der Großmächte mit beschränkter Macht ist auch Japan ein- 
zufügen, vielleicht nimmt es unter diesen die erste Stelle ein. 
Japan hat durch Eindringen in das asiatische Festland einerseits, durch 
Ausgreifen auf die Inseln des Großen Ozeans andrerseits ‚seinen Willen zur 
Großmachtentwicklung bekundet. Im Weltkrieg am eigentlichen Kampf kaum 
beteiligt, benutzte es die Zeit, da seinen großen Nebenbuhlern die Hände ge- 
bunden waren, zur kräftigen Entwicklung seiner innerwirtschaftlichen Verhält- 
nisse und seiner Außenhandelsbeziehungen, namentlich im Bereich des Großen 
Ozeans. Hand’ in Hand damit ging der Ausbau seiner Land- und Seestreit- 
kräfte. So erwuchs das Mikadoreich zu einer im Spiel der weltpolitischen 
Kräfte stark ins Gewicht fallenden Großmacht, die den bekannten Anspruch 
auf den „Raum für die künftigen hundert Millionen Einwohner“ mit Zähigkeit 
behauptet. Allerdings vermag es hinsichtlich der Menge und Kulturhöhe seiner 
Bewohner und hinsichtlich der Hilfsquellen seines Bodens den Vergleich mit 
England und der Union nicht auszuhalten und dürfte dem vereinigten Macht- 
willen dieser beiden kaum Widerstand zu bieten imstande sein, zumal durch 
die Wiedererstarkung des russischen Nachbars der Grad der Sicherheit seiner 
kontinentalen Rückendeckung von seinem Verhältnis zu diesem Nachbar abhängt. 
Für immer dürfte die ehemalige Donaumonarchie durch ihren jetzigen 
Zerfall aus der Reihe der Großmächte ausgeschieden sein. 
So bleiben von den in Tab. IV, S. 245 genannten Staaten nur 
zwei als wirkliche Großmächte der Gegenwart übrig, England und 
die Vereinigten Staaten. England hat sich im Laufe des 19. Jahr- 
hunderts zu einer Weltmacht im wahrsten Sinne des Wortes ent- 
wickelt und im Weltkriege durch die Erlangung des Mandats über 
Deutsch-Ostafrika und des Protektorats über die arabisch-mesopota- 
mischen Länder seinem machtpolitischen Gebäude wichtige Schluß- 
steine eingefügt. Das Britische Weltreich ist gegenwärtig in allen 
Teilen der bekannten Erde und besonders auch an allen entscheidenden 
Stellen durch eignen Besitz machtvoll vertreten. Es stellt räumlich 
und machtpolitisch den Typ der reinen „planetarischen“ Großmacht 
dar. Freilich ist, wie oben schon erörtert, aus dem ehemaligen 
Kolonialreich im Laufe der Entwicklung etwas ganz anderes geworden, 
eine Art Staatenbund, ein „British Commonwealth of Nations“. Dieses 
neue Gebäude entbehrt trotz seiner äußerlich lockeren Form doch nicht 
festester Stützen, die seinen Bestand voraussichtlich noch für lange
	        
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