254 GEOGRAPHISCHE STAATENKUNDE
man die Summe der Einwohnerzahlen der Nachbarn eines Staates durch
die eigene Einwohnerzahl des Staates teilte.
Der so berechnete „Druckquotient“ betrug vor dem Kriege z. B. bei Groß-
britannien 0, bei den Vereinigten Staaten 0,2, bei Deutschland aber 4,4, bei
dem ehemaligen Österreich-Ungarn 5,7, bei Belgien 14,8, bei Schweden und Ru-
mänien 30,8 und bei der Schweiz 50,9. Natürlich bilden diese für die Vorkriegs-
zeit geltenden Zahlen nur einen ungefähren Ausdruck für die politische Lage
eines Landes, da die Art und Leistungsfähigkeit der Bevölkerung auf beiden
Seiten dabei nicht in Rechnung gezogen ist. Aber doch beruht schließlich
die Größe des Gegendrucks, den ein Staat auszuüben vermag, auf der Größe
seiner Bevölkerung, wiederum ein Hinweis darauf, wie wichtig für ein Land die
Erhaltung eines kräftigen natürlichen Zuwachses ist.
Rückseite und Stirnseite eines Staates. Diejenigen Stellen der
Grenzen eines Staates, an denen er sich mit einem besonders großen
oder mächtigen oder ihm feindselig gesinnten Nachbar berührt, sind
vor allem bedroht. Dorthin muß er sein Hauptaugenmerk richten,
nach dieser Seite hin liegt seine Stirnseite. Im Gegensatz dazu ist
die Seite, von der ihm keine oder nur geringe Gefahr droht, seine
Rückseite. Naturgemäß ist dies gewöhnlich ein Abschnitt mit guten
natürlichen Grenzen. Änderungen in der weltpolitischen Lage können
aber auch einen zeitweiligen Wechsel von Rück- und Stirnseite zur
Folge haben.
Die Rückseite des Russischen Reiches bildet seine lange Eismeerküste, seine
Stirnseite in Asien liegt im Süden und ist gegen England und Japan gerichtet.
Die Stirnseite des Europäischen Rußland war im Verlauf der Geschichte bald
lie Westseite, bald die
Südseite.—Ein Haupt-
ziel der Bismarckschen
Außenpolitik bestand
darin, . Deutschland
durch ein gutes Ver-
hältnis zu Rußland
eine Rückendeckung
zu schaffen für den
Fall eines Angriffes
von der bedrohten
Westseite her. Als
dieses Ziel von seinen
Nachfolgernaußer acht
gelassen wurde, ent-
stand uns auch in deı
Ostgrenze eine Stirn-
seite (s. u.). — Im all-
gemeinen bildet für
Randstaaten das Meeı
die Rückendeckung.
Portugals, Chiles und
Norwegens politische
Stirnseite liegt im
Osten, die Mexikos
im Norden. England
und Japan hatten eine
gute Rückendeckung
208. Die Zwischenlage der Mittelmächte 1914.