Full text: Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde

]I. DIE ÄUSSEREN MERKMALE DES STAATES 255 
im freien Ozean, solange die Vereinigten Staaten noch nicht Großmacht waren. 
Jetzt müssen sie gegebenenfalls auch mit einer Gefahr von der See her rechnen. 
Japan könnte mit Aussicht auf Erfolg sich nur in eine Auseinandersetzung mit Eng- 
land oder den Vereinigten Staaten einlassen, wenn es in einem schwachen oder 
befreundeten Rußland die Sicherung einer kontinentalen Rückendeckung besäße. 
Besonders ungünstig wird die Lage eines Staates, wenn er sich an 
zwei oder mehr Seiten unmittelbar mit gefährlichen Nachbarn berührt. 
In dieser politischen Zwischenlage oder Mittellage befindet sich 
Deutschland und befand sich Österreich-Ungarn. Beider Bezeichnung 
als „Mittelmächte“ kennzeichnet diese übereinstimmende Ungunst 
ihrer Lage. Sie machte sie im Weltkriege zu natürlichen Bundesgenossen. 
Aber auch sonst kommt die Zwischenlage vor. Eine solche hat die 
Schweiz, hat Schweden zwischen Norwegen und Rußland, hat Persien 
zwischen der Türkei, Rußland und Indien und Afghanistan zwischen 
russischen und englischen Einflußgebieten., 
Lage und Politik. Es wurde schon gelegentlich darauf hingewiesen, 
wie die geographische und politische Lage eines Staates vielfach 
seine politischen Handlungen und Ansprüche beeinflußt. Hier seien 
noch einige besonders lehrreiche Beispiele angeführt. Rußlands 
Politik ist seit Jahrhunderten gekennzeichnet durch das Streben nach 
dem Besitz eisfreier Küsten am Ozean. Den „Drang nach dem warmen 
Meere“ hat es bereits nach vier Fronten hin betätigt, nach dem Atlan- 
tischen Ozean im Nordwesten, nach dem Stillen im Osten, nach dem In- 
dischen im Süden, am stärksten aber in der Richtung auf das Mittelmeer. 
Hat es doch gegen die Türkei im Verlaufe von zwei Jahrhunderten 
nicht weniger als acht Kriege um den Besitz des Bosporus und der 
Dardanellen geführt. — Serbien und Montenegro sahen immer ein 
Hauptziel ihrer Politik in der Erreichung eines Zuganges zur Adria. 
Serbiens Ausdehnungsbestrebungen gingen gleichzeitig in der Rich- 
tung auf das Ägäische Meer. — Der Anspruch Polens auf ein 
Stück Meeresküste bedeutete für uns den Verlust der Provinz West- 
preußen. — Die ersten Jahrzehnte der Politik der Vereinigten 
Staaten zeigen deutlich als Hauptziel die möglichst rasche Kır- 
reichung der pazifischen Gegenküste. — Das Wesen der Bismarck- 
schen Außenpolitik bestand in dem Bestreben, durch gute Be- 
ziehungen zu Rußland die Gefahr der östlichen Stirnseite zu vermin- 
dern, das der nachbismarckischen Politik in dem Versuch, durch 
Öffnung und Sicherung eines Ausgangs in südöstlicher Richtung sich 
der ungünstigen Zentrallage möglichst zu entziehen. — Die Haupt- 
sorge Englands war immer, sich von dem Druck der benachbarten 
europäischen Kontinentalmächte zu befreien, indem es diese gegen- 
einander ausspielte und möglichst keinen von ihnen zu einer aus- 
gesprochenen Hegemonie kommen ließ. Und wenn es heute das Be- 
streben Frankreichs, eine europäische Vormachtstellung zu erringen, 
offenbar begünstigt, so geschieht das wohl, um im freundschaftlichen 
Verhältnis zu Frankreich einen Bundesgenossen, eine Rückendeckung 
für den Fall einer von Westen her drohenden Gefahr zu haben. 
Die Rücksichtnahme auf die geographische Lage übt auch ihren 
Einfluß auf den Staatshaushalt aus. Das Meer ist zwar, wie wir sahen,
	        
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