256 GEOGRAPHISCHE STAATENKUNDE
kein absoluter Schutz, aber es ist dem reinen Inselstaate möglich, seine
ganze wirtschaftliche und finanzielle Kraft auf die Schaffung einer
großen Flotte zu vereinigen. In dieser glücklichen Lage war Eng-
land bis zum Weltkriege. Seine Eingeborenenkolonien konnten bis-
her immer mit einem Söldnerheer in Schach gehalten werden. Erst
als die Briten tiefer, als sie wohl geglaubt hatten, in den Weltkrieg
verstrickt wurden, mußten sie ein Landherr schaffen und vorüber-
gehend zur Wehrpflicht ihre Zuflucht nehmen. Auch Japan bezeugte
den Anfang seiner kontinentalen Politik durch Einrichtung der all-
gemeinen Wehrpflicht i. J. 1889. Demgegenüber mußte Deutschland
von dem Augenblick an, in dem es seine Randlage zur Beteiligung
am Weltverkehr und an der Weltpolitik ausnutzen wollte, unter Bei-
behaltung des Landheeres auf Schaffung einer tüchtigen Flotte bedacht
sein; wodurch seine Rüstungskosten eine ungeheure Steigerung erfuhren.
— Schließlich läuft alles darauf hinaus, ob ein Land imstande ist, die
Ungunst seiner Lage durch die Summe der geistigen und materiellen
Kräfte seines Volkes und seines Bodens wieder wettzumachen.
II. DIE INNEREN MERKMALE DES STAATES
Neben den erörterten äußeren Merkmalen der Staaten spielen in
seinem politischen Leben auch die inneren Eigenschaften eine
große Rolle, indem sie je nach ihrer Art bald die einigenden, zusam-
menhaltenden, bald aber die auseinanderstrebenden Kräfte des Staates
fördern. Als die inneren Merkmale hatten wir oben die physi-
kalischen, auf der Natur des Landes beruhenden, die völkischen
und die wirtschaftlichen Verhältnisse genannt.
STAAT UND NATÜRLICHE LANDSCHAFT
Natürliche Landschaften. Bei der geographischen Betrachtung
eines Staates suchen wir ein Bild von seiner inneren Gliederung zu
gewinnen durch Einteilung seines Raumes in natürliche Land-
schaften. Eine solche ist gekennzeichnet durch eine gewisse Einheit-
‚ichkeit im geologischen Aufbau des Bodens, in den Geländeformen, in
der Art und Richtung der Wasserläufe, in den klimatischen Verhältnissen,
in den Haupterscheinungsformen des Pflanzenkleides und der Tierwelt.
Namentlich ist die Einheit der Geländeformen und des Klimas
wichtig für die Aussonderung der natürlichen Landschaften.
Gleichartige und ungleichartige physikalische Verhältnisse eines
Staates. Bildet ein Staat eine einzige natürliche Landschaft, so ist
ar ein physikalisch gleichartiger. Solche sind in ganz reiner Ausbildung
nicht vorhanden, Aber doch gibt es Staaten, die in der Hauptsache
einer natürlichen Landschaft angehören.
So sind Rußland und die Niederlande im ganzen genommen Tiefland-
staaten, Norwegen aber, die Schweiz, Chile, Österreich Gebirgsstaaten.
Freilich entbehren auch sie nicht ganz der physikalischen Gliederung. Die Schweiz
zerlegt sich z. B. leicht in das Alpenland, die Schweizer Hochfläche und den
Jura; Rußland gliedert sich nach klimatischen und pflanzengeographischen
Gesichtspunkten in die bekannten fünf, im allgemeinen ostwestlich verlaufen-
den Gürtel.