Full text: Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde

258 GEOGRAPHISCHE STAATENKUNDE \ 
wieder die Ausbildung und Betonung von Stammeseigenarten fördert 
und somit auseinanderwirkende Kräfte begünstigt. Es ist vielleicht 
doch kein Zufall, daß im Norddeutschen Tiefland schon in früheren 
Zeiten größere Staaten zur Entwicklung kamen und daß die neuzeit- 
liche deutsche Einigung von dort ausging, während sich anderseits 
die Kleinstaaterei doch am längsten in dem landschaftlich zerrissenen 
deutschen Mittelgebirgsland erhielt. 
Ganz besonders kommen die Wirkungen gesonderter natürlicher Landschaften 
dann zur Geltung, wenn sich diese nicht gut in die Umrisse eines Staates 
sinfügen, sondern mehr als eine ..Art Anhängsel abseits liegen. So vermochten 
das mittelalterliche Deutschland und das neuzeitliche Österreich ihre Besitzungen 
in Oberitalien trotz aller Anstrengungen auf die Dauer nicht festzuhalten, ebenso 
konnte Galizien im Weltkriege nur mit den größten Anstrengungen verteidigt 
werden. Finnland hat von allen Teilen des zarischen Rußlands der völligen An- 
zliederung am längsten und erfolgreichsten widerstanden. — Umgekehrt können 
gesonderte natürliche Landschaften durch natürliche und künstliche Mittel mit- 
einander verbunden sein. So band die Donau die Einzellandschaften der alten 
„Donaumonarchie“ aneinander. Dieselbe Wirkung übt auch ein gut ausgebautes 
Bahnnetz aus. (Vgl. S. 271.) 
Wenn natürliche Landschaften verschiedener Ausprägung von dem 
sie beherrschenden Staat politisch fest zusammengehalten werden, so 
bedeutet der Unterschied dieser Landschaften für das Staatsganze einen 
Vorteil. Denn nicht nur ergänzen sich in zweckmäßiger Weise die 
verschieden gearteten Erzeugnisse dieser Landschaften, sondern auch 
ihre verschieden gearteten und beanlagten Bewohner. Man denke, 
um nur das nächstliegende Beispiel zu nennen, an die deutschen Mittel- 
gebirgslandschaften mit ihren Bodenschätzen und ihrer industriellen 
Entwicklung und das Norddeutsche Tiefland mit seiner starken agra- 
rischen Einstellung oder an die verschiedene Rolle, die im Geistes- 
leben und in der politischen Entwicklung der neueren deutschen Ge} 
schichte oberdeutsche und niederdeutsche Stämme gespielt haben. 
STAAT UND VOLK . 
Von den beiden Hauptbestandteilen des Staates — Land und. Volk — 
haben wir bisher in der Hauptsache das Land betrachtet, das Volk nur 
in bezug auf seine Größe. Fast noch bedeutsamer aber als die Größe 
ist die Art und Zusammensetzung der Bevölkerung eines Staates für 
dessen politisches Leben. 
Der Begriff „Nation“. Für das Wort Volk setzt man bei poli- 
tischen Erörterungen oft die Bezeichnung „Nation“. Ähnlich wie der 
Name „Großmacht“ wird auch der Ausdruck. „Nation“ häufig gebraucht, 
ohne daß man sich bewußt ist, wie schwierig der Inhalt dieses Be- 
griffes zu bestimmen ist. Früher sah man die Gemeinsamkeit 
der Abstammung als das Wesentliche der Nation an. Aber eine 
solche ist fast bei keiner Nation vorhanden, da fast alle sich ursprüng- 
lich aus verschiedenartigen Bestandteilen gebildet haben. 
So sind in der deutschen Nation beispielsweise germanische, slawische, 
keltische und vielleicht sogar noch frühere Bestandteile gemischt, was auch in 
der verschiedenen Haar- und Augenfarbe und in manchen anderen körperlichen 
and geistigen Verschiedenheiten zum Ausdruck kommt. Die Stammeseigenheiten
	        
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