Full text: Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde

264 GEOGRAPHISCHE STAATENKUNDE 
ausgebildet hat, innerhalb deren nicht nur jede Stadt und fast jedes Dorf sowohl 
deutsche als auch polnische Einwohner hat, sondern in der unter Umständen sogar 
innerhalb ein und derselben Familie beide Nationen vertreten sind. Sodann 
übersehen die Verfechter jenes Grundsatzes, daß, wie wir sahen, die Grund- 
lagen eines Staates nicht nur von dem Volk, der Nation gebildet werden, son- 
dern auch vom Land, seiner Größe, Gestalt, Lage, seinem wirtschaftlichen 
Wert. Es widerspricht also die Anwendung jenes Grundsatzes dem Wesen des 
Staates. Politische Gebilde von der Größe des Stadtstaates Danzig oder des 
ehemaligen „Memelgaues“ oder solche von ungenügender wirtschaftlicher Aus- 
stattung, wie Estland oder der reine Hochgebirgsstaat Österreich, werden stets 
von anderen, größeren Staaten abhängig, d.h. in hohem Grade unselbständig 
sein. Ferner ist die Dauerhaftigkeit und Blüte eines Staates nur gewährleistet 
bei Berücksichtigung der historischen Entwicklung. Wenn z. B. auf Grund 
völkischer Verhältnisse — die übrigens in diesem Falle nicht richtig beurteilt 
wurden — durch das als historische Einheit entstandene Industriegebiet Ober- 
schlesiens mit seinen hundertfachen wirtschaftlichen Verflechtungen eine trennende 
Staatsgrenze gezogen wird, so ist die Gefahr einer verhängnisvollen Verkümmerung 
der voneinander gerissenen Teile außerordentlich groß. 
STAAT UND WIRTSCHAFTSLEBEN 
Verschiedener Grad der wirtschaftlichen Entwicklung. Wie in 
physikalischer und völkischer, so weisen die Staaten der Erde auch in 
wirtschaftlicher Beziehung große Verschiedenheiten auf, zunächst 
schon in dem Grad ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. 
Naturgemäß muß in allen Staaten das Wirtschaftsleben eine gewisse Höhe 
erreicht haben, weil auf niedrigen Wirtschaftsstufen, wie sie die Sammelvölker, 
die Jäger- und Fischervölker, die nomadisierenden Viehzüchter einnehmen. eine 
eigentliche Staatenbildung überhaupt nicht möglich ist, 
Eine Einteilung der Staaten nach der Höhe ihres wirtschaftlichen 
Zustandes ist nicht angängig, weil vom höchstentwickelten Kulturstaat 
Westeuropas bis zum Neger-Freistaat Liberia oder den Eingeborenen- 
staaten Westindiens alle Abstufungen der wirtschaftlichen Entfaltung 
vorkommen, ja solche sich auch innerhalb desselben Staates finden 
können. Auch ist es nicht leicht, einen ganz zuverlässigen Gradmesser 
für diese Abstufung zu finden. Im allgemeinen nennen wir einen 
Staat dann wirtschaftlich hoch entwickelt, wenn er eine große Güter- 
erzeugung und einen beträchtlichen Anteil am Welthandel 
aufzuweisen vermag. Auch der Stand des Verkehrswesens, d. h. 
lie Dichte des Eisenbahn- und Wasserstraßennetzes und die Beschaf- 
fenheit etwa vorhandener Seehäfen, gilt als Gradmesser der wirtschaft- 
lichen Entwicklung. Bei der meist älteren Kultur der europäischen 
Völker finden wir im allgemeinen die wirtschaftlich höchstent- 
wickelten Staaten in Europa. Doch sind heute auch zahlreiche 
außereuropäische Staaten, namentlich solche, die durch europäische 
Einwanderung und Kolonisation entstanden oder die nachträglich vom 
europäischen Wirtschaftsgeist durchdrungen wurden, wirtschaftlich weit 
fortgeschritten. Die Vereinigten Staaten, Kanada, die ABC-Staaten 
Südamerikas, Japan seien als Beispiele genannt. Andrerseits gibt es 
auch innerhalb der europäischen Staaten erhebliche Unterschiede. Die 
ost- und südeuropäischen Staaten stehen im allgemeinen den west-, 
mittel- und nordeuropäischen an wirtschaftlicher Entwicklung nach,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.