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II. Kapitel. ©
würde, vielmehr müssen wir, um solchen Gegensatz zu bezeichnen, die
Worte „Tätigkeit“ und „Untätigkeit“ („Tätig-Sein“ und „Untätig-Sein“)
gebrauchen. Allerdings ist jeder, der „tätig“ ist, auch „handelnd“, und
jeder, der „untätig“ ist, auch „nicht-handelnd“. Das Wort „Untätigkeit“
bezeichnet alle Augenblicke eines Leibes, in welchem ihm nicht Muskel-
veränderungen auf Grund Wollens der mit jenem Leibe zusammen-
gehörigen Seele zugehören. Während also das Wort „Tätigkeit“ stets
„als gegenwärtig gewußte eigene Muskelveränderungen kraft eigenen
Wollens“ bezeichnet, bezeichnet das Wort „Untätigkeit“ alle Augen-
blicke eines Leibes, in welchem ihm nicht Veränderungen kraft Wollens
der mit jenem Leibe zusammengehörigen Seele zugehören, gleichgültig
ob jene Seele um diese Augenblicke ihres Leibes weiß oder nicht weiß.
Es gibt aber ein anderes Wort, welches in schärferer und genauerer
Weise einen Gegensatz zum „Tun“ (und „Handeln‘“) bezeichnet,
nämlich das Wort „Unterlassen“, dessen Sinn allerdings, wie bekannt,
heiß umstritten und von zahlreichen Sagen umwoben ist. Der Sinn
der Worte „Unterlassen“ und „Nicht-Tun“ („untätig sein“) ist keineswegs
ein und derselbe, denn in zahlreichen Fällen wissen wir uns zwar als
„Untätige“, aber doch nicht als „Etwas Unterlassende“, während wir
uns allerdings in allen Fällen, da wir uns als „Etwas Unterlassende“
wissen, auch als „Untätige“ wissen. Im gewöhnlichen Sprachgebrauche
werden freilich die Bedeutungen von „Untätig-Sein“ und „Unterlassen“
stetig verwechselt, da in beiden Fällen das Wort „Nicht“ als Verneinung‘
eines besonderen Tuns gebraucht werden kann. So hat z. B. die Rede:
„A ist jetzt untätig“ auch den Sinn: „A arbeitet jetzt nicht“ und die
Rede: „A. unterläßt es, jetzt spazieren zu gehen“ auch den Sinn: „A. geht
jetzt nicht spazieren“, Indes „unterläßt“ A keineswegs in allen Fällen,
da er „untätig“ ist, irgend Etwas, und wenn A. nicht spazieren geht,
so muß er es noch keineswegs „unterlassen“, spazieren zu gehen. Daß
aber der Sinn des Wortes „Unterlassen“ unklar ist, schreibt sich vor
allem daher, daß man die Bestimmung des Gegebenen „Unterlassen“
mit der Bestimmung des Gegebenen „Nicht-Tun“ als Zurech-
aungsbedingung verwechselte.
Um das Gegebene „Unterlassen“ zu bestimmen, müssen wir ebenso,
wie zur Bestimmung des Gegebenen „Tun“ von „Selbstbewußtsein“
ausgehen, Weiß nun etwa jemand, der im Winter an seinem Schreib-
tische sitzt, daß er gegenwärtig „keine Rosen in seinem Garten pflücke“
so weiß er doch nicht, daß er es „unterlasse“, Rosen in seinem Garten
zu pflücken und würde jeden, der ihn frägt: „Warum unterlassen Sie
es, Rosen in Ihrem Garten zu pflücken?“ verdutzt ansehen, obwohl er
weiß, daß er gegenwärtig keine Rosen pflückt, also jenes „Etwas“
gegenwärtig „nicht tut“. So erkennen wir zunächst, daß jemand sich
nur dann als „Etwas Unterlassenden“ weiß, wenn er weiß, daß die