Full text: Allgemeine Gesellschaftslehre

Das_ Streben. 
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Wollenden sagt, „er wolle Etwas nicht tun“. Indes ist die Rede, 
daß jemand „Etwas nicht tun wolle“ zweideutig, da sie einerseits 
„Nicht-Zugehörigkeit besonderen Wollens zu besonderer 
Seele“, andererseits „Zugehörigkeit besonderen Wider-Wollens 
zu besonderer Seele“ bezeichnet. Im ersteren Falle müßte in ge- 
nauer Rede gesagt werden: „Er will nicht, das tun“ (Sonderungs- 
urteil), im letzteren Falle müßte gesagt werden: „Er will, das nicht 
tun“ (Zugehörigkeitsurteill, Wenn wir aber das „Wider-Wollen“ 
dem „Wollen“ gegenüberstellen, so tragen wir dem bedauerlichen Um- 
Stande Rechnung, daß die Sprache für den von uns „Wider-Wollen“ 
genannten emotional ungünstigen Seelenaugenblick kein selbständiges 
Wort zur Verfügung stellt. Es muß jedoch mit besonderem Nachdrucke 
das Mißverständnis ausgeschlossen werden, als ob das „Wider-Wollen“ 
ein besonderes Wollen wäre, ein Mißverständnis, welches durch 
unsere notgedrungene Bezeichnung „Wider-Wollen“ leicht veranlaßt 
werden könnte. Es ist auch zweifellos, daß die Irrmeinung, „Wider- 
wille“ sei „besonderer Wille“, verhindert hat, daß die Sprache ein 
selbständiges Wort für das „Wider-Wollen“ zur Verfügung stellt, Daß 
aber „Wider-Wollen“ kein besonderes Wollen, vielmehr ein Gegenstück 
zum „Wollen“ darstellt, ergibt sich ohne weiteres klar aus unserer 
Zergliederung jener beiden Seelenaugenblicke, deren einer „eigenen 
gegenwärtigen Seelenaugenblick in Zusammengehörigkeits- 
beziehung zu künftigem eigenen Leibesveränderungen“, deren anderer 
„eigenen gegenwärtigen Seelenaugenblick in Ausschließlichkeits- 
beziehung zu eigenen Leibesveränderungen“ zum Gewußten hat. Sagen 
wir also, daß jemand „Etwas will“, so meinen wir, er wisse, daß er 
es tun werde, sagen wir hingegen, daß jemand „gegen Etwas einen 
Widerwillen hat“ oder, wie wir kurz sagen können, „Etwas wider- 
will“, so meinen wir, er wisse, daß er es nicht tun werde. 
Niemand wirkt auf Grund „Wider-Wollens“, d. h. ein „Wider- 
Wollen“ gibt niemals die wirkende Bedingung in einem Tun ab. Sagt 
man etwa „A habe den B beleidigt, weil er gegen ihn einen Wider- 
willen habe“, so ist lediglich gemeint, daß A den B auf Grund eines 
Wollens beleidigt hat, zu dessen Bedingungen irgendein „Wider- 
Wollen“ gehört hat, keineswegs aber ist gemeint, daß das „Wider- 
Wollen“ die wirkende Bedingung im „Beleidigen“ abgegeben hat, da 
ja auch das „Beleidigen“ keineswegs das „wider-gewollte“ Tun war. 
Wenn wir also nunmehr vom „Wider-Wollen“ das „Wider-Streben“ 
unterscheiden, so ist keineswegs gemeint, daß „Wider-Streben“ ein 
Seelenaugenblick ist, in welchem eigenes gegenwärtiges. Wirken auf 
Grund „Wider-Wollens“ gewußt ist — denn solchen Seelenaugenblick 
gibt es nicht. „Wider-Streben“ ist vielmehr ein Seelenaugenblick, in 
welchem überhaupt kein „eigenes gegenwärtiges Wirken kraft Wollens“
	        
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