Das_ Streben.
12°
Wollenden sagt, „er wolle Etwas nicht tun“. Indes ist die Rede,
daß jemand „Etwas nicht tun wolle“ zweideutig, da sie einerseits
„Nicht-Zugehörigkeit besonderen Wollens zu besonderer
Seele“, andererseits „Zugehörigkeit besonderen Wider-Wollens
zu besonderer Seele“ bezeichnet. Im ersteren Falle müßte in ge-
nauer Rede gesagt werden: „Er will nicht, das tun“ (Sonderungs-
urteil), im letzteren Falle müßte gesagt werden: „Er will, das nicht
tun“ (Zugehörigkeitsurteill, Wenn wir aber das „Wider-Wollen“
dem „Wollen“ gegenüberstellen, so tragen wir dem bedauerlichen Um-
Stande Rechnung, daß die Sprache für den von uns „Wider-Wollen“
genannten emotional ungünstigen Seelenaugenblick kein selbständiges
Wort zur Verfügung stellt. Es muß jedoch mit besonderem Nachdrucke
das Mißverständnis ausgeschlossen werden, als ob das „Wider-Wollen“
ein besonderes Wollen wäre, ein Mißverständnis, welches durch
unsere notgedrungene Bezeichnung „Wider-Wollen“ leicht veranlaßt
werden könnte. Es ist auch zweifellos, daß die Irrmeinung, „Wider-
wille“ sei „besonderer Wille“, verhindert hat, daß die Sprache ein
selbständiges Wort für das „Wider-Wollen“ zur Verfügung stellt, Daß
aber „Wider-Wollen“ kein besonderes Wollen, vielmehr ein Gegenstück
zum „Wollen“ darstellt, ergibt sich ohne weiteres klar aus unserer
Zergliederung jener beiden Seelenaugenblicke, deren einer „eigenen
gegenwärtigen Seelenaugenblick in Zusammengehörigkeits-
beziehung zu künftigem eigenen Leibesveränderungen“, deren anderer
„eigenen gegenwärtigen Seelenaugenblick in Ausschließlichkeits-
beziehung zu eigenen Leibesveränderungen“ zum Gewußten hat. Sagen
wir also, daß jemand „Etwas will“, so meinen wir, er wisse, daß er
es tun werde, sagen wir hingegen, daß jemand „gegen Etwas einen
Widerwillen hat“ oder, wie wir kurz sagen können, „Etwas wider-
will“, so meinen wir, er wisse, daß er es nicht tun werde.
Niemand wirkt auf Grund „Wider-Wollens“, d. h. ein „Wider-
Wollen“ gibt niemals die wirkende Bedingung in einem Tun ab. Sagt
man etwa „A habe den B beleidigt, weil er gegen ihn einen Wider-
willen habe“, so ist lediglich gemeint, daß A den B auf Grund eines
Wollens beleidigt hat, zu dessen Bedingungen irgendein „Wider-
Wollen“ gehört hat, keineswegs aber ist gemeint, daß das „Wider-
Wollen“ die wirkende Bedingung im „Beleidigen“ abgegeben hat, da
ja auch das „Beleidigen“ keineswegs das „wider-gewollte“ Tun war.
Wenn wir also nunmehr vom „Wider-Wollen“ das „Wider-Streben“
unterscheiden, so ist keineswegs gemeint, daß „Wider-Streben“ ein
Seelenaugenblick ist, in welchem eigenes gegenwärtiges. Wirken auf
Grund „Wider-Wollens“ gewußt ist — denn solchen Seelenaugenblick
gibt es nicht. „Wider-Streben“ ist vielmehr ein Seelenaugenblick, in
welchem überhaupt kein „eigenes gegenwärtiges Wirken kraft Wollens“