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III. Kapitel. a
Wenn wir nun schließlich den Sinn des besonderen Wortes „Unter-
lassen“ bestimmen wollen, so sei zunächst daran erinnert, daß das
Wörtchen „unter“ zweideutig ist, da es nicht nur besondere Raum-
beziehung zu „ober“, sondern auch ein „zwischen“ („inter“) bezeichnet,
wie z. B. in den Worten „unterscheiden“, „unterhandeln“, „unterbrechen“,
„ohne Unterlaß“. Auch in dem Worte „Unter-Lassen“ hat aber das
„Unter“ die Bedeutung von „Zwischen“ („inter“), denn jener „unterläßt“
Etwas, der es „zwischen“ zwei besonderen Seelenaugenblicken „läßt“,
nämlich „zwischen“ einem „Wollen“ jenes Etwas“ (bzw. einem als Be-
dingung solchen Wollens in Betracht kommenden Begehren) und einem
„Streben nach jenem Etwas“, derart, daß ihm jener Strebenaugenblick
nicht zugehörig wird, vielmehr ein Wider-Strebenaugenblick, in welchem
nun auf jenes Etwas wider-gezielt wird... Das „Unterlassen“ ist also ein
besonderes „Lassen“, d. h. ein Lassen, das sich im Sinne besonderen
„Wider-Strebens“ findet, in welchem gewußt ist, daß das von der
eigenen Seele gegenwärtig Wider-Gewollte vorher von
der eigenen Seele gewollt (bzw. begehrt) war, ohne daß. es
zum „Tun“ auf Grund jenes Wollens gekommen ist. Während
wir aber als „Unterlassen“ jeden „eigenen gegenwärtigen Muskelzustand“
als Gewußtes solchen besonderen Wider-Strebens bezeichnen, nennen
wir „Unterlassenes“ jenes „Tun“, welches unterlassen wurde, und
„Unterlassung“ jede Wirkung, welche sich durch das unterlassene
Tun ergeben hätte, Ein „Wider-Streben“, in welchem eigenes gegen-
wärtiges „Unterlassen“ gewußt ist, nennen wir ein „unterlassendes
Wider-Streben“.
Halten wir uns nun unverrückbar klar vor Augen, daß das Wort
„Unterlassen‘““ kein ‚Tun‘ bedeutet, sondern einen Leibeszustand als
Sinn besonderen Widerstrebens, so erkennen wir nicht nur die ver-
schiedene Bedeutung des Wortes „Etwas tun“ und „Etwas unterlassen“,
sondern erkennen auch, in welchen Irrtümern der berühmte Streit um
die ‚„Kausalität der Unterlassung (d. h. des Unterlassens)‘‘ wurzelt.
Während nämlich zunächst jenes „Etwas‘‘, das wir „tun“, stets eine
Wirkung unseres Tuns ist — „einen Kasten öffnen“, „eine Tür schließen“,
„einen Spaziergang machen‘, „einen Brief schreiben‘‘, „einen Krieg
führen“ usw. —, ist jenes „Etwas‘‘, das wir „unterlassen“, niemals
eine Wirkung des Unterlassens, sondern eine Wirkung, welche
das unterlassene Tun gehabt hätte, also eine Wirkung, welche
durch das Unterlassen nicht gewirkt, sondern als Leistung des
Unterlassenden ausgeschlossen wurde. Die Besonderheit eines
„Unterlassens‘“ wird daher stets durch Worte bezeichnet, welche die
Besonderheit des unterlassenen Leistens (und Tuns) bezeichnen,
woraus sich auch erklärt, daß die Sprache zwar zahlreiche besondere
Worte zur Verfügung stellt, die besonderes „Leisten“ ohne die Worte