Das Streben.
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selbstverständlich ist auch der sogenannte „Notwehrexzeß“ nichts anderes,
als „Wehr“, „Widerstand“, „Verteidigung“, nur eine „unerlaubte Wehr“.
Auch jener „Notwehrexzedent“, der in der bloßen Erwartung, daß
ein anderer ihn verprügeln werde, den anderen niederschießt, um diese
künftige „Verprügelung“ zu verhindern, ist nicht „Angreifer“, sondern
„Verteidiger“, nur verteidigt er sich mit einem verpönten Mittel. „Juri-
stische Bestimmungen“, überhaupt Bestimmungen besonderer Gegebener
als „Zurechnungsbedingungen“, sind eben stets strenge zu scheiden von
der Bestimmung des Wesens jener Gegebenen. Auch die Beantwortung
der leidenschaftlich erörterten Frage, welcher „Staat“ in besonderem
Kriege „Angreifer“ und welcher „Staat“ bloß „Verteidiger war, leidet
darunter, daß erstens die Frage, wer „angreift“ und wer „verteidigt“
mit der Frage verwechselt wird, wer zuerst zu kämpfen beginnt, und
zweitens die Frage, wer „angreift“ und wer „verteidigt“ mit der Frage
verwechselt wird, ob jemand, der als „Verteidiger“ die erste Kampf-
betätigung gesetzt hat, „erlaubte“ Kampfmittel anwendete.
Nun gibt es aber allerdings zahlreiche Kämpfe, in welchen beide
Kämpfer zugleich „Angreifer“ und „Verteidiger“ sind. Wir haben bis-
her nur vom „einfachen Kampfe“ gesprochen, der sich als „ein-
seitiger Angriffskampf“, als „einfache Kampfgegnerschaft“
darstellt. Hingegen bezeichnen wir als „zweifachen Kampf“, als
„zweiseitigen Angriffskampf“, als „zweifache Kampfgegner-
schaft“ jenen Kampf, in welchem jeder der beiden Kämpfer nach
einer Veränderung besonderen Zustandes strebt, jeder der beiden Kämpfer
aber nach einer Veränderung, durch deren Eintritt die vom anderen
Kämpfer erstrebte Veränderung verhindert wird. In solchen Kämpfen
zielt jeder der beiden Kämpfer auf eine Wirkung, die er zugleich als
„Kampf-Zielwirkung“ und „als Verhinderung der Erfüllung der Kampf-
Zielwirkung“ seines Gegners denkt, und solche Kämpfe haben stets
einen „zweifachen Kampfgegenstand“. Halten z. B. A und B ein
Seil und wollen dadurch ausprobieren, wer der Stärkere ist, daß beide
gleichzeitig das Seil in entgegengesetzten Richtungen reißen, so liegt
dann ein „zweifacher Angriffskampf“ vor. Denn A zielt darauf, den
jedem von ihnen zugehörigen Zustand der Ungewißheit, wer der Stärkere
ist, zu Gewißheit, daß er (A) der Stärkere ist, zu verändern und damit
einen Seelenzustand zu wirken, der Gewinn des Gedankens, daß B der
Stärkere ist, verhindert, während B darauf zielt, den jedem von ihnen
zugehörigen Zustand der Ungewißheit, wer der Stärkere ist, zu Gewiß-
heit, daß er (B) der Stärkere ist, zu verändern und damit einen Seelen-
zustand zu wirken, der Gewinn des Gedankens, daß A der Stärkere
ist, verhindert. „Zweifache Kämpfe“ sind ferner z. B. der „Wettlauf“
and das „Wettschwimmen“. Wenn z. B. A. und B um die Wette laufen,
wer von ihnen zuerst einen bestimmten Punkt erreicht, so streben sie