Die Macht:
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meinen: „Ich will Etwas tun“, wohl aber meint er stets auch: „Ein
Anderer will, daß ich Etwas tue“. „Sollen“ ist also kein „Wollen“,
überhaupt kein „Seelisches“, ein Urteil: „Ich soll Etwas tun“ ist nicht
etwa ein Einheitsurteil, dessen logisches Subjekt „Ich“, dessen logisches
Prädikat „Sollen“ wäre, sondern ein Beziehungsurteil,
Da nun aber das Wort „Sollen“ ein Beziehungswort ist, mit
welchem eine besondere Lage bezeichnet wird, welche a) durch einen
Anspruch begründet wurde und b) die Gesamtheit jener Allgemeinen
enthält, welche als grundlegende Bedingungen dafür in Betracht kommen,
daß durch besonderes Verhalten besonderen Menschens der ihn betreffende
Interessengesamtzustand verschlechtert wird, hat sich der Sinn des
Wortes „Sollen“ in uneigentlichem Gebrauche in zweifacher Richtung
erweitert, Erstens nämlich wird das Wort „Sollen“ im Sinne „Bean-
Sprucht worden sein“ verwendet, so daß auch jedes „Beanspruchte“ als
„Gesolltes“ bezeichnet wird, welche Sinnerweiterung sich daher schreibt,
daß man überhaupt um das Gegebene „Anspruch“ nur unklar weiß,
insbesondere „Anspruch als wirkende Bedingung für Anspruch-
erfüllung“ und „Anspruch als wirkende Bedingung für Soll-
begründung“ verwechselt. Der Sprachgebrauch macht aber bei der
Sinnerweiterung „Sollen = Beansprucht worden sein“ nicht Halt,
sondern erweitert den Sinn des Wortes „Sollen“ noch weiter, so daß
das Wort „Sollen“ auch noch den Sinn „Günstig emotional ge-
dacht worden sein“ und „Geworben worden sein“ annimmt. So
Sagt man etwa „Nach seinem Wunsche sollte es jetzt regnen“ oder:
„Er will, daß der Kasten nicht mehr hier stehen soll“, und man sagt
ferner: „A soll schon in Berlin sein!“ oder „Das soll ich glauben?“
Mit der Rede „A soll schon in Berlin sein!“ wird gemeint: „Jemand
hat mir gegenüber behauptet, daß A. schon in Berlin ist“, „Jemand hat
um meinen Glauben daran, daß A. schon in Berlin ist, geworben“,
und mit der Frage „Das soll ich glauben?“ wird gemeint: „Solchen
Glauben muten Sie mir zu?“, „Um solchen Glauben werben Sie?“. Die
Verwendung des Wortes „Sollen“ zur Bezeichnung des Sachverhaltes,
daß jemand um eines Anderen besonderen Glauben geworben hat,
hat offenbar denselben Grund, wie die Verwendung des Wortes „Geltung“
zur Bezeichnung des Sachverhaltes, daß jemandem durch eines Anderen
Glauben-Werbung ein besonderer Glaube zugehörig geworden ist,
nämlich den Grund, daß man „Glauben“ als ein „Verhalten“ ansieht,
Somit „Glauben-Werbung“ mit „Verhalten-Werbung“ („Anspruch“) ver-
Wechselt, Zweitens aber wird das Wort „Sollen“ zur Bezeichnung
jeder Lage verwendet, welche die Gesamtheit jener Allgemeinen
enthält, welche als grundlegende Bedingungen dafür in Betracht
kommen, daß durch jemandes Verhalten der ihn betreffende Interessen-
Sesamtzustand verschlechtert wird, also auch zur Bezeichnung einer
Sander, Allg. Gesellschaftslehre. 238