Full text: Allgemeine Gesellschaftslehre

Die Besonderheiten der Vergesellschaftungs-Werbungs-Seelenaugenblicke usw. 445 
auch insbesondere hinsichtlich der Verträge schon seit langem erkannt, 
Jaß sie nicht auf „freiem Willensentschlusse‘‘ der Parteien beruhen, 
vielmehr nur „formal frei“ sind, was nichts anderes heißt, als daß ein 
„Vertrag“ nur dann vorliegt, wenn sich jemand „pflichtfrei“ ver- 
gesellschaftet hat. Die übliche Entgegensetzung von „Freiheit“ und 
„Gebundenheit“ ist überhaupt völlig unzutreffend, da richtig nur „Frei- 
heit“ und „Betroffenheit von ungünstiger Lage“ einander 
entgegengesetzt werden können, während „Gebundenheit“ („Pflicht‘“, 
„Sollen“) nur eine „Betroffenheit von besonderer ungünstiger 
Lage‘‘ darstellt. Ebenso unzutreffend ist‘ aber auch die Entgegen- 
setzung von „freiem Wollen“ und „pflichtmäßigem Wollen“, 
da richtig nur „freie Verhalten-Seelenaugenblicke“ und „ge- 
nötigte Verhalten-Seelenaugenblicke“ einander entgegen- 
gesetzt werden können, während die „pflichtmäßigen Verhalten-Seelen- 
augenblicke‘“ nur besondere „genötigte Verhalten-Seelenaugenblicke* 
darstellen. Die Verkennung der Tatsache aber, daß der sogenannte „freie“ 
Gesellschafter zwar stets ein „pflichtfreier“ Gesellschafter, aber bei weitem 
aicht immer ein „überhaupt freier‘ Gesellschafter ist, hat für die „‚Theorie‘‘ 
und ‚Praxis‘ ganz unübersehbare Folgen gehabt, wie ja auch die be- 
gannte Entgegensetzung von „Staat“ und „Gesellschaft“ — d. h. von 
„Staatsgesellschaft‘““ und „freier Gesellschaft“ — sowie die Dichtungen 
des Liberalismus über das Thema „freie Verkehrswirtschaft“ zeigen. 
Der „pflichtfreie‘“ Gesellschafter ist also zwar niemals ein durch einen 
Gedanken an „Pflicht“ genötigter Gesellschafter, aber häufig ein auf 
andere Weise genötigter Gesellschafter. Der „‚pflichtfreie‘“ Gesell- 
schafter kann sogar ein durch den Gesellschafts-Werber absichtlich ge- 
nötigter Gesellschafter sein, allerdings kein durch „Drohung“ genötigter 
Gesellschafter, wohl aber ein durch Warnung genötigter Gesellschafter, 
Sagt nämlich etwa — um auf ein von uns schon angeführtes Beispiel 
zurückzugreifen — A zu B, der bei einem Steinbruche steht: „Gehen 
Sie rasch fort, ich werde gleich eine Sprengung machen!‘‘, so zielt A. 
absichtlich auf Nötigung des B, und zwar durch eine besondere War- 
nung, da A den B vor einem künftigen von in Aussicht gestelltem 
Verhalten des A. abhängigem Ereignisse warnt, ihm also einen be- 
sonderen Antrag stellt. Nimmt B den Antrag an, d. h. entfernt er sich 
wegen der Warnung des A, so vergesellschaftet er sich kraft eines 
ihm von A absichtlich aufgenötigten Wollens, ist aber doch „pflicht- 
freier‘‘ Gesellschafter, der sich nicht wegen einer an ihn gerichteten 
Drohung des A mit ihm vergesellschaftet, 
Mit dem Worte „Herrschaft‘‘ wird nun gewöhnlich eine „Gebot- 
erfüllungs-Gesellschaft‘“ bezeichnet, welcher besonderen Gesellschaft 
man die „Vertrags-Gesellschaft‘“ gegenüberstellt. Indes ist die Gegen- 
äberstellung „‚Vertrags-Gesellschaft‘“ und „Geboterfüllungs-Gesellschaft‘“
	        
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