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VII. Kapitel.
wie schon die Rede zeigt, „daß jemand einen Anderen durch Drohungen
und Versprechungen zu besonderem Verhalten zu veranlassen sucht“.
Reine Anbote enthalten aber nur „Versprechungen“, keineswegs „Dro-
hungen“, weshalb auch, wenn etwa ein Staatsherrscher verspricht,
jeden, der mehr als zwei eheliche Kinder hat, im Staatsdienste an-
zustellen, niemand davon spricht, daß nun die Untertanen „verpflichtet“
sind, mehr als zwei eheliche Kinder zu zeugen, obwohl der Staats-
herrscher die Allein-Macht hat, Staatsanstellungen zu verleihen und
obwohl solche Anstellung für manchen „armen Teufel“ ein derartig
dringendes Bedürfnis sein mag, daß er nun „alle Kräfte einsetzt“, um
mehr als zwei eheliche Kinder zu erhalten. Es ist eben unzutreffend,
jene „Gesellschaft“ als „Herrschaft“ zu bezeichnen, welche dadurch be-
gründet ist, daß dem Gesellschafts-Werber ein Verhalten-Seelenaugen-
blick zugehört, in welchem er auf einen Verhalten-Seelenaugenblick
des Adressaten zielt, dem „starke“ zuständliche Bestimmtheit zu-
gehört, und daß dem Gesellschafter solcher Verhalten-Seelenaugen-
blick zugehört. Vielmehr ist es ausschließlich das Vorhandensein eines
„Pflicht-Gedankens“, welcher die „Herrschaft“ vom „Einverständnisse“
scheidet. In allen Fällen freilich, da jemand die Macht hat, einen
Anderen durch Anbot zu einer besonderen Versprechung und dann zu
einer Erfüllung jener Versprechung zu veranlassen, liegen Anbote
vor, welche die wirkenden Bedingungen für besondere Wirkungen ab-
geben, die gleich sind jenen Wirkungen, welche durch gültige Gebote
hervorgerufen werden. Ergibt sich doch sowohl in diesen als auch in den
anderen Fällen schließlich eine Verkettung von Wirkenseinheiten, in
welcher dem Adressaten kraft eines Eigen-Pflicht-Gedankens besonderes
der Verhalten-Werbung entsprechendes Verhalten zugehörig wird. Wird
ferner durch eine Versprechung, die sich als „Anbot-Annahme“ dar-
stellt, eine Verpflichtung des Adressaten in Wahrheit begründet, so hat
der Anbot-Steller eine Ander-Verpflichtungs-Macht gehabt, also eine
Macht, jene Wirkung hervorzurufen, welche auch durch ein Verpflich-
tung begründendes Gebot hervorgerufen werden kann. Durch ein Anbot
kann allerdings eine Ander-Verpflichtung nur auf dem Umwege über
besonderes auf solche Eigen-Verpflichtung gerichtetes Verhalten des
Adressaten, also bloß mittelbar begründet werden, hingegen kann
durch ein Gebot eine Ander-Verpflichtung unmittelbar begründet
werden. Wir können aber jede Macht jemandes, einen Anderen durch
besonderes Anbot zu einer besonderen Versprechung und ferner zur
Erfüllung jener Versprechung zu veranlassen, eine „Quasi-Herrscher-
Macht“ nennen und „Quasi-Herrschaft“ jede Beziehung zweier
Seelen, welche dadurch begründet ist, daß der einen Seele ein Verhalten-
Seelenaugenblick zugehört, in welchem sie durch Anbot auf besondere
Versprechung eines Anderen zielt, und der anderen Seele ein Ver-