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[X. Kapitel.
meinen Gesellschaftslehre‘‘ müssen wir uns es aber veısagen, die „„Quasi-
Recht‘ nennbaren Tatbestände aufzuzeigen und zu zergliedern. Können
wir aber jedenfalls das Wesen des Rechtes, die „Rechtsidee‘‘ klar be-
stimmen, so steht es doch schlimm um unsere ‚empirische‘ Erkenntnis,
daß besondere in der Welt gegebene Sachverhalte ‚Recht‘ sind, und
zwar deshalb, weil es in der Welt nicht nur zahllose „Schein-Rechts-
weisungen bzw. -abweisungen‘ gibt, die als solche nicht erkennbar
sind, sondern auch zahllose „irrige als Rechtsweisungen- bzw. -ab-
weisungen gemeinte Weisungen bzw. Abweisungen'‘, die wir als „irrig“
nicht zu erkennen vermögen. Der Grund für diese Mängel unserer
empirischen Erkenntnis liegt darin, daß wir eben Ander-Seelisches nur
in engen Grenzen, zu ‚erkennen vermögen, so daß wir einerseits in
zahllosen Fällen nicht zu erkennen vermögen, daß jemand wider
seine Tatbestands- und Auslegungs-Überzeugung Behauptungen in
Form von „Rechtsweisungen bzw. -abweisungen‘“ aufgestellt hat,
andererseits in zahllosen Fällen nicht einmal feststellen können, welches
der „Sinn‘‘ eines besonderen ‚,Befehles mit Rechtsverleihungs-Behaup-
tung‘ gewesen ist — Tatsachen, die sehr bedauerlich sind, aber nur
durch Dichtungen verschleiert werden können. Im praktischen Leben
tritt hier die sogenannte „Rechtskraft“ als Helfer auf, welche auf der
Tatsache gegründet ist, daß besonderen Menschen befohlen ist, un-
günstige Zurechnungen gemäß besonderen Behauptungen zu vollziehen
bzw. zu unterlassen, die in der „Form“ einer „Rechtsweisung bzw.
-abweisung‘“ auftreten, mag auch in Wahrheit eine „Schein-Rechts-
weisung bzw. -abweisung‘“ oder eine „irrige als Rechtsweisung bzw.
-abweisung gemeinte Weisung bzw. Abweisung‘“‘ vorliegen. Liegt aber
in Wahrheit keine „Rechtsweisung bzw. -abweisung‘“ vor, so ist auch
das Wort „Rechtskraft“ fehl am Orte und ist in den meisten Fällen
durch das Wort „Staatsherrscherkraft‘“ zu ersetzen.
„Allgemeine Rechtswissenschaft‘ nennen wir jene Wissen-
schaft, in welcher jene identischen Allgemeinen bestimmt werden, durch
welche die besondere Macht-Beziehung „Recht‘“ begründet sein kann,
„Allgemeine Rechtsverfahrenwissenschaft“ nennen wir hin-
gegen jene Wissenschaft, in welcher jene identischen Allgemeinen be-
stimmt werden, die sich in jedem Rechtsverfahren finden. Der „Al-
gemeinen Rechtswissenschaft‘“ entspricht als Lehre die „Allgemeine
Rechtslehre‘“, der „Allgemeinen Rechtsverfahrenwissenschaft‘” ent-
spricht als Lehre die „Allgemeine Rechtsverfahrenlehre‘.
Von den Gegebenen „Recht“ und „Rechtsverfahren““ unterscheiden
sich aber die Gegebenen „Rechts-Gesellschaft‘“ und „Rechts-
verfahren-Gesellschaft“, Als „Rechts-Gesellschaft‘‘ bezeichnen
wir jede Gesellschaft zweier Seelen, welche dadurch begründet ist, daß
der einen Seele ein Verhalten-Seelenaugenblick zugehört, in welchem